Die Sternseherin
und zeigte Eckzähne, die größer aussahen, als es gemeinhin üblich war. Seine Züge erinnerten Estelle an alte Zeichnungen ägyptischer Schakale, die sie einmal in einem ziemlich gruseligen Buch gesehen hatte. »Darf man gratulieren?«
Sie verstand nicht, was er damit meinte, aber sie wusste sofort, dass er eine mächtige Magie in sich trug. Und er scherte sich augenscheinlich überhaupt nicht darum, ob jemandem sein ungewöhnliches Aussehen auffiel oder nicht.
Asher ging nicht auf diese merkwürdige Frage ein und stellte weder sie noch Julen namentlich vor. Stattdessen sagte er: »Setzt euch dort drüben hin! Ich komme gleich nach.«
Das war eindeutig ein Befehl. Sie bemühte sich, seine Anweisung als Bitte zu verstehen, und folgte ihr. Auch Julen verhielt sich kooperativ und bot sogar an, Getränke zu holen und Abendessen zu bestellen. Sobald er fort war, begann Asher in einer seltsamen Sprache mit dem Fremden zu reden. Weil sie sowieso nichts verstand, ging sie an den Tisch, der ihr vorher schon gefallen hatte, gerade noch rechtzeitig, denn ein Paar hatte ihn im gleichen Moment entdeckt. Sie lächelte entschuldigend, die beiden gingen weiter und Estelle schaute sich interessiert um, während sie wartete. Immer wieder öffnete sich die Tür und neue Gäste kamen herein. Eine Uhr schlug sechs und sie vermutete, dass die meisten Besucher aus den umliegenden Instituten der Universität kamen, um noch ein Feierabendbier zu trinken, bevor sie nach Hause zu ihren Familien fuhren. Die Mitarbeiter hinter der Theke trugen einheitliche Polohemden und wirkten sehr professionell; sie arbeiteten zügig, trotzdem schien die Schlange vor ihrem Tresen nicht kleiner zu werden. Estelle beobachtete Julen, der darauf wartete, seine Bestellung aufgeben zu können, als er plötzlich den Kopf hob, als habe er etwas entdeckt. Sie folgte seinem Blick und sah eine dunkelblonde Frau, die sich suchend umschaute. Sie knöpfte ihren Mantel, der schon bessere Zeiten gesehen hatte, auf und Estelle fand, dass das schlichte Businesskostüm, das darunter zum Vorschein kam, die zweifellos vorhandenen attraktiven Rundungen der Frau unvorteilhaft verbarg. Alles an ihr schien »graue Maus« zu schreien. Ihre glatten Haare waren zu einem Knoten geschlungen, die klaren Augen hinter der randlosen Brille signalisierten jedoch, dass mit ihr keine Spielchen zu spielen waren. Julens Augenbrauen zogen sich kaum merklich zusammen, Estelle bemerkte es dennoch und sah wieder zu der Fremden. Ein Sterblicher winkte ihr zu, stand auf und gönnte sich bei seiner herzlichen Begrüßung einen langen Blick auf ihr Dekolleté.
Augenscheinlich findet Julen diesen etwas unscheinbaren Frauentyp anziehend. Estelle war überrascht, dass sie einen eifersüchtigen Stich spürte. Schließlich hatte sie sich ebenfalls anderweitig umgetan und konnte keinerlei Ansprüche darauf erheben, seine ausschließliche Aufmerksamkeit zu genießen, wie es ihr in den vergangenen Wochen zur Selbstverständlichkeit geworden war. Es gab nichts daran auszusetzen, dass ein gut aussehender Junggeselle sich für Frauen interessierte. Vielleicht hatte er auch einfach nur Hunger, dachte sie mit einem Frösteln.
Wenig später stellte Julen die Getränke vor ihr auf den Tisch und eine Kellnerin erschien, um das Roastbeef zu servieren. Hastig spießte sie mehrere Pommes auf ihre Gabel und versuchte, die sperrigen Stäbchen in den Mund zu stopfen. Julen verschränkte seine Arme vor der Brust und sah sich gelangweilt um. Doch damit konnte er sie nicht täuschen. Sie war sicher, er registrierte jede Bewegung der Frau, die sich angeregt mit ihrem Begleiter unterhielt. Estelle hatte gerade den letzten Bissen geschluckt und fühlte, wie eine wohlige Wärme ihren Bauch füllte, da verließ die Blondine das Pub. »Du siehst besser aus, als dieser geschniegelte Möchtegern-Manager!«
»Bitte?« Julen sah sie irritiert an.
»Kennst du die Frau?«
Verstehen breitete sich auf seinem Gesicht aus. »Nein. Das heißt – ich bin nicht ganz sicher. Sie erinnert mich an jemanden.«
Sie glaubte ihm kein Wort. »Sehr wahrscheinlich ans nächste Abendessen«, murmelte Estelle und sah gerade noch, wie der unheimliche Fremde einen Zettel über den Tisch zu Asher schob, der das Papier wortlos einsteckte. »Es war mir eine Freude, unsere Bekanntschaft zu erneuern«, hörte sie ihn sagen.
»Ganz meinerseits!«
Estelle beobachtete, wie Julen bei der förmlichen Verabschiedung der beiden die Augen verdrehte, und sie
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