Die Stille in Prag - Rudis, J: Stille in Prag - Potichu
durchtrennten Kopfhörern darauf. Sie ist immer noch wütend.
Überraschung. Vor der Badewanne liegen keine Unterhosen und keine Socken. Dafür auf der Waschmaschine. Sie wirft sie in den Wäschekorb.
Nach einer schnellen Dusche macht sie einen kurzen Rundgang durch die Wohnung. Nackt. In der Küche steht eine offene Milchflasche auf dem Tisch. Eine Müslipackung und ein Glas mit Resten von Fruchtsaft. Sie stellt es in den Geschirrspüler. Die Milch ist sauer, sie kippt sie weg.
Der Fußboden müsste dringend gescheuert werden. Er hat ja öfters vorgeschlagen, sie sollten sich eine Putzfrau nehmen. Aber Hana kann sich nicht vorstellen, dass eine fremde Person ihre Sachen anfasst. Sie blickt um sich. Die Küchenzeile aus Italien. Die Küchengeräte aus Deutschland. Die Kaffeemaschine aus Spanien. Sie denkt an ihr altes Zuhause. Eine Dreizimmerwohnung im Plattenbau in der Kleinstadt. Teppich, Linoleum, tropfender Wasserhahn. Die Wände waren hellhörig. Sie drückte sich jedes Mal ein Kissen gegen die Ohren, wenn ihre Eltern Liebe machten. Plötzlich überkommt Hana der Wunsch nach etwas Ähnlichem. Nach einer kleinen Wohnung nur für sie alleine.
Sie reißt das Fenster auf und lässt frische, kühle Luft hinein.
Den Kauf der Wohnung haben sie richtig gefeiert. Es waren irre viele Leute gekommen. Man hat getanzt, getrunken, vom Balkon in die Nacht geschrien. Zum Schluss hat die Polizei geklingelt. Ein Typ und eine Frau, beide nicht älter als zwanzig. Sie waren nett, haben sogar jeder ein Glas Wein getrunken und Parmaschinken mit Honigmelone probiert. Aber da war die Party schon zu Ende.
Alle gingen nach Hause und sie beide blieben allein zurück. In ihrer eigenen Wohnung. Draußen wurde es schon hell. Sie saßen im Wohnzimmer auf dem Fußboden. Sie umarmten sich. Küssten sich. Versuchten, Liebe zu machen, aber er schlief in ihren Armen ein. Sie streichelte ihm übers Haar.
Überall standen leere Weinflaschen, auf dem Tisch und auf dem Boden lagen Essensreste, zerknüllte Zigarettenschachteln, leere CD -Hüllen. In der Wohnung war es ganz still. Hana kam es vor, als füllte die Stille auch sie beide aus, ihre Beziehung, die nie besonders laut gewesen war. Wenn überhaupt, dann nur am Anfang. Vielleicht ist es das, was sie heute so vermisst: etwas Lärm. Sie hat es immer wieder versucht, ihn immer wieder zu irgendwelchen Veranstaltungen geschleppt, aber er fühlte sich in ihrer neuen gemeinsamen Wohnung am wohlsten. Wenn er nicht gerade bei der Arbeit war. Oder im Fitnessstudio. Vielleicht hatte sie genau in diesem Moment begriffen, denkt Hana, dass der Umzug etwas verändert, ein Ende in Sicht gebracht hatte. Die Möglichkeit einer Trennung durchschimmern ließ.
Dieser Tag ist heute gekommen.
Hana zieht ein grünes Top an und ihre alte, verwaschene Jeans, die sie nur noch zu Hause tragen wollte. In einem der Dachgeschosszimmer, die sie zu einem Lagerraum umfunktioniert haben, wühlt sie in den Kartons herum. Es dauert eine Weile, bis sie etwas findet. Es überrascht sie, wie viel Zeug sie noch hat. Alte Klamotten. Bücher, fast alle ausgelesen. Lehrbücher, die sie nicht in die Universitätsbibliothek zurückgebracht hat. Sogar die Vorhänge aus ihrer ersten Mietwohnung in Žižkov liegen da. Genauso wie der Kaffeebecher mit dem abgeschlagenen und dreimal angeklebten Henkel vom Genfer Flohmarkt.
Endlich findet sie ihre alten Adidas-Schuhe. Weiß und abgetreten. Von dem Ausverkauf auf der Schönhauser Allee, wo sie sich mit zwei Kommilitoninnen, der Polin Halina und der Deutschen Gudrun, eine Wohnung mit Kohleheizung teilte. Wann hat sie das letzte Mal von ihnen gehört?
Sie zieht die Schuhe an. Aus dem Schrank holt sie eine kurze braune Lederjacke mit Reißverschluss. Vor dem Spiegel im Flur hält sie inne. Gut sieht sie aus. Sie ist jung. Heute fallen ihr keine Augenringe auf.
Aus der Handtasche fischt sie ihr Handy heraus und macht es endlich an. Er hat angerufen. SMS geschickt. Der Herr Fürsorglich. Früher fand sie das toll, sie hatte sich immer einen aufmerksamen Mann gewünscht, der sich bereits bei einer zehnminütigen Verspätung Sorgen macht. Im Moment mag sie weder anrufen noch schreiben. Später.
Jetzt will sie in den Letná-Park. Sie hat den Pessoa dabei, Das Buch der Unruhe . Vielleicht wird sie lesen wollen. Vielleicht aber wird sie nur auf die Stadt herunterschauen und Kaffee und Weinschorle trinken. Vielleicht kauft sie sich sogar Zigaretten.
Hana zieht die Wohnungstür hinter sich zu.
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