Die Stille in Prag - Rudis, J: Stille in Prag - Potichu
die Kleine an. Sie nimmt nicht ab. Vermutlich sitzt sie noch im Flugzeug.
Mit einem Mal wird ihm bewusst, dass er einen Riesenhunger hat. Er zieht sein Jackett an, steckt das Handy ein und verlässt das Haus. Hoffentlich gelingt es ihm, ein nettes Lokal zu finden. Wo man zum Essen auch einen für Prager Verhältnisse guten Wein bekommt. Und zum Abschluss guten Kaffee. Kein amerikanisches Menü, auf keinen Fall. Er wird einen Espresso bestellen. Nein. Einen Ristretto. Mittlerweile machen die den in Prag auch ganz gut.
Wayne läuft die Straße entlang, beobachtet den Verkehr. Die Autos, die Straßenbahnen, die Menschen. Vor der Metrostation I. P. Pavlova macht er einen Bogen um ein Grüppchen Punker, die mit ihren Hunden auf dem Gehsteig hocken und um Kleingeld betteln. Vielleicht könnte er ins Radost gehen. Was Vegetarisches essen. Er sieht das Logo von McDonald’s. Mike hat erzählt, dass die Freude über die Eröffnung des ersten Burger King nach Saddams Sturz viel größer war als die über die Eroberung von Bagdad. Für unsere Jungs war das ein echtes Ereignis, sagte er. Ein paar seiner Kumpels hätten sogar geweint. Es war was ganz Besonderes, sagte Mike. Die Burger schienen jede Mühsal wettzumachen, die sie die zwei Wochen während der Belagerung ertragen mussten. Als Wayne gefragt hat, ob der Irak-Krieg also wegen Hamburger geführt wurde, verdüsterte sich Mikes Miene. Mike … Wo ist er jetzt bloß? Irgendwo zwischen Amerika und Irak. Er ist bestimmt nicht der Mann auf der Sanitätertrage gewesen. Warum sollte es ausgerechnet den eigenen Bruder erwischen.
Einen Burger King gibt es in Prag nicht. Noch nicht. Vielleicht nach einem Krieg. Vielleicht ist es bald so weit. Dave hat doch neulich bei einem Meeting erzählt, dass Burger King nach Osteuropa expandiert. Die Kette ist schon in Polen, im Baltikum und in Ungarn vertreten, also kann sich Prag langsam auf panierte Zwiebelringe freuen. Dave fände es natürlich am schönsten, wenn seine Kanzlei den Kings bei der Eroberung des tschechischen Marktes unter die Arme greifen dürfte.
Dave und Wayne haben früher häufig gestritten, was besser ist: Burger King oder McDonald’s. Pepsi oder Coca-Cola. Solche Diskussionen haben sie von Anfang an geführt. Was ist besser: Volvo oder Saab? Puma oder Nike? Mac oder PC ?
Es gibt keinen Burger King in Prag. Auf McDonald’s hat Wayne keine Lust. Also wird es KFC sein müssen, denkt Wayne. Die Kleine hat mal gesagt, der Typ auf dem rotweißen Logo sähe wie Mengele nach einer Schönheits- OP aus. Vielleicht hat sie recht. Vielleicht ist er nach dem Krieg irgendwo in Kentucky untergetaucht. Dort kann man sich noch heute mir nichts dir nichts verlaufen.
Wayne ordert ein Crispy Strips Menü und dazu Hot Wings, Maiskolben und Salat. Die Cola light, die er zunächst haben wollte, bestellt er um. Eine normale Cola ohne Eis. Sein Tablett ist ganz voll. Er setzt sich ans Fenster, öffnet den Becher mit der Sauce und fühlt, wie Ruhe in ihn einkehrt. Er stürzt sich auf die Hühnerflügel. Seine Hände, sein Kinn und sein Mund triefen bald vor Fett – und weit und breit keine Kleine, die ihm eine Serviette reichen würde.
Wayne isst und sieht den Punkern zu, die ihren Hunden einen abgenutzten Ball zuwerfen. Eine Straßenbahn rattert vorbei. Am Steuer sitzt ein großer weißer Hund. Was für ein Unsinn, denkt Wayne.
Er schluckt gierig große Bissen von Huhn und Pommes herunter und begießt sie mit Cola. Auf einmal passiert es. Als bliebe ihm etwas im Hals stecken. Er atmet schwer. Wird rot. Schwitzt. Sein Herz springt aus der Brust, kullert auf die Straße hinaus, die Punker spielen Fußball damit. Wayne bekommt keine Luft. Er ringt nach Atem, wird panisch, spürt keinen Boden unter den Füßen. Er löst sich auf. In der nächsten Sekunde ist er tot. Es fühlt sich an wie damals, als er und die Straßenlampe sich in die Quere kamen.
Wayne versucht sich zu beruhigen. Sich an etwas festzuhalten. Die Angst zu vertreiben. Er sieht sich um. Nach den Gästen. Nach den Frauen. Er liest die Speisekarte hoch und runter. Es hilft nichts. Er schließt die Augen. Das hat er doch schon einmal gehabt. Aber damals ist die Kleine bei ihm gewesen.
BLOSS KEIN MOOS ANSETZEN
D en Koffer stellt sie im Flur ab. Sie zieht ihre Pumps aus. Der Fußboden fühlt sich angenehm kühl an. Die Halle. Das Wohnzimmer. Ein langer Glastisch, den sie in einem italienischen Designerladen in der Altstadt ausgesucht haben. Sie legt ihren iPod mit den
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