Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Stille über dem Wasser: Roman (German Edition)

Die Stille über dem Wasser: Roman (German Edition)

Titel: Die Stille über dem Wasser: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clara Salaman
Vom Netzwerk:
sich aus dem Fenster und versuchte, mit den Händen die Hecken zu berühren. Rob, der älteste der drei, saß auf dem Beifahrersitz. Clemmie erkannte ihn kaum wieder – er hatte sich die Haare blond gefärbt, und seine Stimme hörte sich ganz anders als sonst.
    »Ach, der. Seine Eier sind bloß in den Keller gerutscht«, sagte Sara, und keiner schien sich an der Bemerkung zu stoßen.
    »Wenigstens hab ich welche«, konterte Rob. »Wohingegen du immer ein Mädchen bleiben wirst.« So wie er es sagte, klang es wie eine echte Beleidigung – ein Gedanke, der Clemmie bislang nie in den Sinn gekommen war.
    »Was gibt es an Mädchen auszusetzen, Schwuli?«, schoss Sarah zurück.
    Clemmie war immer wieder beeindruckt von ihrer Schlagfertigkeit; andererseits hatte sie massenhaft Gelegenheit zum Üben. Selbst Johnny, der aus dem Fenster gesehen hatte, musste lachen. Vielleicht würden Peter und sie sich ja eines Tages auch so ausgelassen kabbeln. Aber, ehrlich gesagt, konnte sie es sich nur schwer vorstellen.
    »Und wie ist die neue Frau deines Vaters?«, erkundigte sich Sarah.
    »Nett.«
    »Wirklich?«, fragte Sarahs Mum, als bestünde die Möglichkeit, dass sie log. Erst jetzt bemerkte Clemmie ihr verschmitztes Lächeln im Rückspiegel. »Du darfst gern sagen, dass sie grässlich war. Wir werden es keinem verraten.«
    Clemmie lachte. »Nein, sie ist wirklich nett.«
    »Du bist so süß, Hasenschnäuzchen.« Sarahs Mum nannte sie immer so. Es war eine Ehre, einen Kosenamen zu bekommen. Als gehörte sie zur Familie.
    »Jonts, ich habe ganz vergessen, dir zu sagen, dass Sally angerufen hat«, sagte Sarahs Mum. »Sie wollte wissen, ob du an dem Freitag, wenn wir zurückkommen, bei ihr babysitten kannst. Ich habe ihr versprochen, dich zu fragen.«
    »Klar kann er. Jede Wette«, warf Rob ein, drehte sich um und warf Johnny einen vielsagenden Blick zu, den dieser hinter dem Sitz seiner Mutter mit dem Siegeszeichen quittierte.
    Mit ihrer lässigen Teenager-Überlegenheit jagten die beiden Clemmie stets ein bisschen Angst ein.
    »Ich werde es machen«, erklärte Sarah. »Ich brauche dringend das Geld.« Sie war so erwachsen, ohne dabei zickig oder überheblich zu sein.
    »Ich gebe dir fünf Pence«, sagte Johnny, öffnete eine Dose Reisedrops und schüttelte den Puderzucker ab.
    »Klar«, sagte Sarah.
    »Aber zuerst zeigst du uns deine Titten.«
    »Nein.«
    »Sechs Pence.«
    »Nein.«
    »Sieben.«
    »Nein.«
    Clemmie sah abwechselnd vom einen zum anderen, als würde sie an der Mittellinie eines Tennisplatzes sitzen.
    »Acht.«
    »Johnny, hör auf!«, schaltete sich Sarahs Mum ein und sah ihren Sohn im Rückspiegel an. Doch sie schien nicht ärgerlich auf ihn zu sein.
    »Neun.«
    »Nein.«
    »Zehn. Mein letztes Angebot.«
    »Oh, na dann.« Sarah zog ihr Top hoch, unter dem eine flache Mädchenbrust zum Vorschein kam.
    Johnny musterte seine kleine Schwester ohne jedes Interesse. »Prostituierte«, sagte er und bot Clemmie einen Drops an.
    Alle brachen in schallendes Gelächter aus, selbst Sarah. Clemmie suchte sich einen Drops aus und genoss das vertraute Glücksgefühl, das sie durchströmte.
    »Was ist eine Prostituierte?«, fragte sie, woraufhin die anderen einen Moment lang innehielten und dann in noch lauteres Gelächter ausbrachen. Clemmie hatte keine Ahnung, was so lustig war.
    Johnny beruhigte sich als Erster. In seinen grünen Augen lag ein belustigtes Funkeln, als er sie anlächelte.
    »Klappe«, sagte er zu seinen Geschwistern, ohne den Blick von ihr zu lösen. »Es ist nicht wichtig, Clemmie. Ich hab nur Blödsinn geredet.«
    Und dann wandte er sich ab und sah wieder aus dem Fenster.
    Weit und breit waren keine Lichter zu sehen, keine Dörfer. Nichts. Die Sonne ging auf und wieder unter und zeigte nichts als verwaistes Land. Sie verbrachten den Tag an Bord, dösend, während Annie noch immer wie in Trance, gefangen in ihrer eigenen Welt, im Vorschiff lag. Von Zeit zu Zeit ging Johnny hinunter, um nach ihr zu sehen, doch sie reagierte nicht, sondern lag reglos da und starrte blicklos durch die Luke zum Himmel hinauf. Er versuchte, zu ihr durchzudringen, saß auf der Bettkante und erzählte vom Wind, davon, dass er und Clem bald aufbrechen würden und sie gut auf sich und Smudge aufpassen solle, dass er ihr keine Vorwürfe mache und wie sehr er ihre Lage bedauere, doch sie lag da, schlaff und widerstandslos, den Schwankungen des Boots ergeben. Es war, als hätte ihre Seele längst ihren Körper verlassen, sodass nichts als

Weitere Kostenlose Bücher