Die Stille über dem Wasser: Roman (German Edition)
kleinen weißen Engeln und Luftschlangen dekoriert. Es war ihr egal, wenn die Gäste etwas auf dem Teppich verschütteten oder eine Schweinerei auf dem Küchentisch machten. Peter lief den ganzen Tag mit schokoladenverschmiertem Gesicht herum, was sie nicht im Mindesten störte. Sie war sehr nett und stellte Clemmie allerlei Fragen, ohne je die Zeit zu haben, die Antwort abzuwarten, weil sie dringend Peter aufs Töpfchen bringen, ihm etwas zu essen geben, ihn aufheben, weil er umgefallen war, oder ihm etwas in den Mund schieben musste, damit er nicht mehr weinte. Wenn sie zurückkam, hatte sie meistens ihre Frage längst vergessen. Clemmie kam sich blöd vor, wieder von vorn anzufangen, deshalb achtete sie darauf, ihre Erwiderungen möglichst knapp zu halten.
Später, als Liz Peter zu Bett brachte und Clemmie ihrem Vater in der Küche beim Kochen zusehen durfte, war es netter. James war ein viel besserer Koch als Jim – Jim hatte sie kein einziges Mal kochen sehen. Trotzdem rief Liz ständig irgendetwas herunter, woraufhin er zurückrief und ein Fläschchen, einen Schnuller oder ein Spielzeug hinaufbrachte. »Wo waren wir gerade?«, fragte er, wenn er zurückkehrte, und Clemmie war ein klein wenig gekränkt, weil er es bereits wieder vergessen hatte. Nach dem Abendessen, als Peter schlief, saßen sie im Wohnzimmer, plauderten und sahen fern.
Ihr Dad und Liz hatten auf dem Sofa Platz genommen, tranken Rotwein, während Clemmie im Sessel saß. Sie wünschte, sie hätte sich ebenfalls aufs Sofa gesetzt, neben ihren Vater, dann könnte er jetzt ihre Hand halten oder sie sich an ihn kuscheln. Vermutlich war sie zu groß, um noch auf seinem Schoß zu sitzen, obwohl sie das kleinste Mädchen in ihrer Klasse war. Sie sehnte sich nach einem Moment der Intimität mit ihm, nur einen einzigen. Von ihrem Platz aus konnte sie so tun, als würde sie fernsehen, obwohl sie in Wahrheit ihn beobachtete. Er streichelte und berührte Liz ununterbrochen und sah sie schmachtend an. Clemmie kannte diesen Blick – so hatte er sie früher manchmal angesehen – und fühlte sich ausgeschlossen und verunsichert, als sie erkannte, wie nun jemand anderes in den Genuss seiner Zuneigung kam. Liz war jetzt der Mittelpunkt seines Lebens. Obwohl Clemmie ihrer Mutter erzählen würde, dass Liz nicht einmal annähernd so hübsch war wie sie, war ihr doch bewusst, dass es Jim um mehr ging als nur um ein hübsches Gesicht. Plötzlich empfand sie Mitleid mit ihrer Mutter, die keinerlei Bedeutung mehr zu haben schien. Wann immer sie ihre Mum erwähnte, murmelte ihr Dad irgendetwas, und er und Liz tauschten einen Blick oder lächelten einander zu. Es schien das Beste zu sein, Jackie gar nicht mehr zu erwähnen, mit dem Ergebnis, dass sie anfing, eine Geschichte zu erzählen, sich jedoch mittendrin unterbrach, weil sie merkte, dass ihre Mutter darin vorkam.
Liz gähnte ununterbrochen. Clemmie hoffte, dass sie bald zu Bett gehen würde, sodass sie sich zu James aufs Sofa setzen konnte. Er würde ihre Hand halten, ihre Schulter massieren und ihr mit diesem ganz bestimmten Ausdruck in die Augen sehen. Doch stattdessen schloss Liz die Augen und kuschelte sich an James, so wie Clemmie es am liebsten getan hätte, und er legte den Arm und sie und streichelte sie; sogar auch, als Clemmie ihm vom spannenden Finale beim Turnwettbewerb erzählte – er sah Clemmie an, doch er liebkoste Liz.
Zum ersten Mal erfuhr sie, was Eifersucht wirklich bedeutete.
»Na, wie war die Taufe?«, fragte Sarahs Mum am nächsten Tag, als sie ihren Familienkombi durch die engen, gewundenen Dorfstraßen lenkte. Clemmie sah Mrs Loves lächelndes Gesicht im Rückspiegel, ihre beringten Finger auf dem Lenkrad, das helle Rosa ihres Nagellacks. Sie saß in der Mitte des Rücksitzes, eingezwängt zwischen Sarah und Johnny. Keiner der beiden hatte dort sitzen wollen, aber für Clemmie war es der perfekte Platz – in der Mitte, zwischen sämtlichen Stühlen. Die Loves waren zu spät gekommen. Clemmie hatte stundenlang am Küchentisch auf sie gewartet und Angst gehabt, sie könnten sie vergessen haben.
»Schön«, antwortete sie und sah aus dem Fenster. »Peter mochte es überhaupt nicht, als der Pfarrer ihn in das Wasser eingetaucht hat.«
Nach der Kirche hatte es in Strömen gegossen. Am Straßenrand wahren wahre Fontänen hochgespritzt, als der Wagen durch die Pfützen gefahren war, aber mittlerweile hatte sich das Wetter beruhigt, und die Sonne war sogar herausgekommen. Sarah lehnte
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