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Die Stille über dem Wasser: Roman (German Edition)

Die Stille über dem Wasser: Roman (German Edition)

Titel: Die Stille über dem Wasser: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clara Salaman
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du schläfst«, sagte er, trat in die Kombüse und griff nach dem Wasserkessel.
    »Wie kannst du ihr bloß in die Augen sehen?«, flüsterte sie mit einer Stimme, die er noch nie zuvor an ihr gehört hatte, voller Ekel, als wäre er ein Tier, ein Ungeheuer. Er hielt inne und sah sie an, ehe er beschloss, nicht darauf einzugehen. Er drehte den Wasserhahn auf, gab ausreichend Wasser für zwei Tassen hinein und stellte den Kessel auf den Herd. Er fragte sich, wie groß der Wassertank sein mochte. Über kurz oder lang würden sie irgendwo haltmachen und die Vorräte auffüllen müssen.
    »Du hast ihre Eltern getötet«, stellte sie unverblümt fest.
    »Sie haben eine kleine Chance, es zu schaffen. Außerdem war es Annies eigene Entscheidung, ins Wasser zu springen.« Er schaltete die Herdplatte ein.
    »Aber deine, ihn umzubringen.«
    »Sie hat mich angefleht, ihr zu helfen.«
    »Also bist du auf die Idee gekommen, einfach ihren Mann zu töten.«
    »Ich habe ihn im Beiboot ausgesetzt, für den Fall, dass du es nicht mitbekommen haben solltest.«
    »Das ist praktisch dasselbe, das weißt du ganz genau.«
    »Was hätte ich denn tun sollen?«, fragte er und knallte den Wasserkessel auf die Platte.
    »Es steht dir nicht zu, Gott zu spielen. Du hättest ihn am Leben lassen können.«
    »Ach ja, hätte ich das?« Er musterte sie von oben bis unten. »Eines solltest du dabei nicht außer Acht lassen …«, sagte er, trat ans Spülbecken und lehnte sich dagegen, sorgsam darauf bedacht, seine Stimme im Zaum zu halten. »Annie wollte um jeden Preis von ihm weg. Und soll ich dir auch sagen, was sie getan hat, um ihr Ziel zu erreichen? Sie hatte Tabletten gebunkert, um sich das Leben zu nehmen. Und Smudge sollte nicht allein zurückbleiben …«
    Clem starrte ihn einen Moment lang an, dann schüttelte sie den Kopf. »Ich glaube dir kein Wort.« Trotzdem blieb der Keim des Zweifels.
    »Weshalb sollte eine Frau so etwas tun wollen? Wie schrecklich muss das sein, was passiert ist, um auf diese Weise fliehen zu wollen?«
    »Sie ist verrückt, Johnny.«
    »Was hätte ich denn tun sollen, Clem? Los, sag es mir«, fragte er mit leiser Stimme.
    »Du hättest uns einfach nach Datça bringen können.«
    »Das habe ich versucht, aber du wolltest es ja nicht.«
    »Nein, ich meine beim zweiten Mal.«
    »Oh, und für dich wäre das völlig in Ordnung gewesen, ja? Ihn einfach laufen zu lassen? Während Smudge ihm hilflos ausgeliefert ist?«
    »Ja. Natürlich.«
    Er starrte sie ungläubig an. Sie wollte es einfach nicht wahrhaben, sträubte sich mit Händen und Füßen dagegen, ihm zu glauben. »Dieser Mann hat Sex mit seiner fünfjährigen Tochter. Kapierst du es denn nicht?«
    »Annie ist eine Lügnerin«, stieß sie leise hervor.
    »Herrgott noch mal, Clem!« Er fuhr sich mit der Hand über die Stirn. »Mach endlich die Augen auf, verdammt noch mal!«
    »Sie verbreitet Lügen über ihn.«
    Er hatte es ihr nicht sagen wollen, hatte nicht gewollt, dass sie das Ausmaß seiner Verdorbenheit erfuhr. Er hatte sie davor beschützen wollen, so lange, wie es irgendwie ging. »Da drin liegt ein Buch, Clem«, sagte er. »In diesem Buch stecken massenweise Fotos von Dingen, von denen ich mir nicht vorstellen kann, dass du sie jemals sehen willst. Aber jetzt glaube ich, dass es nicht anders geht.«
    Ihre Augen weiteten sich, und sie wurde blass, als das Ausmaß der Abscheulichkeit in ihr Bewusstsein zu sickern schien. Nun konnte sie ihn nicht länger in Schutz nehmen.
    »Ist auch ein Foto von ihm dabei?«, fragte sie schließlich.
    Johnny sah sie verständnislos an.
    »Ob auch ein Foto von ihm dabei ist?«, wiederholte sie, dann lächelte sie. »Nein, es ist keins dabei, stimmt’s? Natürlich nicht. Fotos beweisen rein gar nichts, Johnny. Annie hat ihm etwas angehängt. Und du bist darauf hereingefallen.«
    Er traute seinen Ohren nicht. »Großer Gott«, stieß er hervor. »Er hat dich komplett auf seine Seite gezogen, stimmt’s?«
    »Und sie dich aber nicht auf ihre? Du hältst dich doch für den Ritter in schimmernder Rüstung, der ihr zu Hilfe eilt, oder etwa nicht?«
    »Sie hat versucht, sich die Hand abzuhacken, Clem.«
    »Das war doch bloß ein Hilfeschrei.«
    »Ein Hilfeschrei? Tja, und ich war der Einzige, der verdammt noch mal darauf reagiert hat, oder etwa nicht? Ich war derjenige, der ihr verdammt noch mal geholfen hat!«, schrie er. Das hatte er noch nie getan.
    »Annie, Annie, ich höre immer nur Annie. Du bist nicht der liebe Gott, Johnny.

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