Die Stille über dem Wasser: Roman (German Edition)
Es steht dir nicht zu, einfach ihren Ehemann zu beseitigen.«
»Was hätte ich denn sonst tun sollen? Los, sag es mir!«
»Wenn du dir deiner Sache so sicher warst, hättest du ihn doch anzeigen können, sobald wir von Bord gegangen wären.«
Johnny spürte eine glühend heiße Wut in sich aufsteigen. »Ihn anzeigen?«, brüllte er. »Und bei wem, bitte sehr? Die Bullen hier kümmert das doch einen Scheißdreck. Hier gelten doch keinerlei Gesetze! Kapierst du es nicht? Der Dreckskerl kann machen, was ihm verdammt noch mal einfällt! Deshalb heißt dieser beschissene Kutter ja Little Utopia!«
Er schlug mit einer solchen Wucht auf die dünne Trennwand ein, dass das Sperrholz mit einem lauten Knacken zerbarst und seine Fingerknöchel zu bluten begannen. Wieder starrten sie einander an, beide verwirrt und in entsetztem Staunen darüber, was aus ihnen geworden war, mit welcher Geschwindigkeit sich dieser unüberwindbare Graben zwischen ihnen aufgetan hatte.
Er wandte sich ab und stützte sich mit beiden Armen am Treppengeländer ab. Mit gesenktem Kopf stand er da und versuchte verzweifelt, die Tränen zurückzuhalten, seine Selbstbeherrschung zurückzugewinnen. Keiner wagte es, ein Wort zu sagen. Er blickte zum nächtlichen Himmel hinaus, in die tiefschwarze Leere, die sich scheinbar endlos über ihnen spannte.
Das Kreischen des Wasserkessels durchbrach die Stille. Langsam und mit methodischer Sorgfalt häufte er das Kaffeepulver in die Tassen und goss das Wasser darüber, als hänge sein Leben von der korrekten Zubereitung des braunen Getränks ab. Er gab Zucker hinein, rührte um und trug die beiden Tassen zum Tisch. Clem saß noch immer mit ausdrucksloser Miene da. Es schien, als hätte sie sich komplett in sich zurückgezogen, an einen Ort in ihrem Inneren, wo niemand sie erreichen konnte. Er setzte sich neben sie. Wortlos sahen sie den umherwirbelnden braunen Strudeln in ihren Tassen zu.
»Ich will nach Hause«, sagte sie kleinlaut.
Zu Hause. Daran hatte er noch gar nicht gedacht. Er sah sie an und dachte an die Clem von damals. Die Clem zu Hause, von damals, als sie noch zusammengehört hatten. Es schien, als lägen Welten zwischen dieser Zeit und heute. Er erinnerte sich noch daran, wie er sich in sie verliebt hatte, an ihre erste Verabredung im Blue Anchor – Clem in Jeans und ihrem weißen Top, wie sie stets denselben Song in der Jukebox gewählt hatte. Er wusste noch genau, wie sehr er sie damals geliebt hatte und es auch jetzt noch tat. Doch es schien, als sei ihre Liebe plötzlich zu weit entfernt, um sie noch erreichen zu können; genauso weit entfernt wie alles andere, was ihm einst etwas bedeutet hatte. Sein Inneres war wie betäubt, zutiefst erschüttert und hilflos zugleich.
»Ja«, sagte er als Antwort auf eine unausgesprochene Frage. »Ich bringe dich nach Hause.«
»Aber wie soll das gehen, Johnny?«, fragte sie. »Was machen wir mit Smudge?«
»Wir nehmen sie einfach mit.«
Sie sah ihn an. Ihre Augen waren gerötet und verquollen. »Aber wie wollen wir das den Behörden erklären?«
Sie hatte recht. Sie konnten nicht nach Hause zurückkehren. »Dann gehen wir eben woandershin«, sagte er, ohne den Blick von ihr zu lösen.
Sie nickte, doch ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Aber ich will nach Hause.«
»Bitte.« Seufzend senkte er den Kopf und massierte sich die Stirn. Er war so unendlich müde, so erschöpft. »Allein schaffe ich es nicht.«
Sie nahm seine Hand. Eine Weile saßen sie reglos da und lauschten dem Schlagen der Wellen. Schließlich hob er den Kopf und sah sich um, als würde ihm zum allerersten Mal bewusst werden, wo sie sich befanden: das zertrümmerte Spanholz, der potthässliche Billigteppichboden, Franks Geschichtsbücher, ihre Schnulzenromane, seine Stifte, ihr Krimskrams und ihr Kind, das hinter der geschlossenen Tür friedlich schlief. Sie waren fort, und Johnny und Clem hatten ihnen ihr Leben gestohlen.
Die Hochzeit war keineswegs planmäßig verlaufen. Sie hatten die Feier bewusst klein gehalten. Gerade einmal zu zwölft standen sie vor der Kirche in St. Mawgan, derselben Kirche, in der auch Johnnys Eltern fünfundzwanzig Jahre zuvor getraut worden waren. Rob hatte Clem auf der alten Triumph mitgenommen, weil sie darauf bestanden hatte, dass das Brautpaar getrennt voneinander eintraf. Es entpuppte sich als ziemlich schwierig, an all ihren abergläubischen Gewohnheiten festzuhalten, und sie stand ständig vor der Entscheidung, sich daran zu halten oder
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