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Die Stille über dem Wasser: Roman (German Edition)

Die Stille über dem Wasser: Roman (German Edition)

Titel: Die Stille über dem Wasser: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clara Salaman
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zwischen die Felsen und warteten, bis die Rufe und Schritte verklungen waren. Eine scheinbare Ewigkeit lang hockten sie da, mit hämmerndem Herzen, beide wie erstarrt vor Schock und Furcht. Endlich wurde es still bis auf die Geräusche des Wassers – das Rauschen des Regens und das Donnern der Wellen, die sich an den wuchtigen Felsen brachen. Johnny überlegte fieberhaft, was sie jetzt machen sollten.
    Clem rutschte ein Stück zur Seite, kauerte sich zusammen und ließ die Stirn auf die Knie sinken. Irgendwo in der Ferne grollte ein Donner. Sie hob den Kopf und blickte aufs Meer hinaus. Es gab keinen Ort, wohin sie gehen konnten. Es gab nichts zu sagen. Als sie das Wort ergriff, war ihre Stimme tonlos. Ihre Panik war einer fast unheimlichen Ruhe gewichen.
    »Wieso müssen wir eigentlich immer in der Scheiße sitzen, Johnny?«
    »Tun wir doch gar nicht. Zumindest nicht immer .«
    »Doch.«
    Es war zwecklos, es leugnen zu wollen. Es gibt nun mal einen Punkt, an dem man anderen die Schuld nicht länger in die Schuhe schieben kann. In Frankreich hatten sie für einen Mistkerl gejobbt, der sie eiskalt um ihr Geld betrogen hatte; in Italien hatte man sie nicht nur ein-, sondern gleich zweimal ausgeraubt, und beim Trampen durch Jugoslawien waren sie im Wagen eines reichlich schrägen Vogels gelandet. Selbst ihre Hochzeitsnacht war eine einzige Katastrophe gewesen: Johnny hatte vergessen, Geld einzustecken, sodass ihnen nichts anderes übrig geblieben war, als durchs Fenster ihres schicken Hotelzimmers zu klettern und an der Regenrinne hinunterzurutschen.
    »So was passiert nun mal, wenn man reist«, sagte er, doch insgeheim konnte er sich nur fragen, wie andere Leute es schafften, unbeschadet zu bleiben. Das Einzige, was Rob und seine Freundin von ihren Urlauben mitbrachten, waren eine herrliche Bräune und Schwärmereien darüber, wie traumhaft es gewesen sei.
    Statt einer Erwiderung starrte Clem lediglich weiter wortlos zum Horizont. Sie schloss die Augen, ließ den Kopf wieder auf die Knie sinken und tauchte in ihre Phantasiewelt ab – das gehörte zu den Dingen, die sie perfekt beherrschte. Sie konnte sich aus nahezu jeder Situation ausblenden und sich so lebhaft vorstellen, an einem anderen Ort zu sein, dass es ihr manchmal realer als die Realität erschien. Sie ließ den Regen auf sich niederprasseln und stellte sich vor, es wäre der Regen in Cornwall: Er schlug gegen die mit hübschen Vorhängen versehenen Fenster des Landhäuschens, während sie in einem behaglichen Lehnsessel vor einem knisternden Kamin saß und sich auf dem uralten Schwarz-Weiß-Fernseher einen schönen Film ansah. Johnny lümmelte auf dem Boden zu ihren Füßen, den Rücken gegen den Sessel gelehnt, während Johnnys Dad es sich in Shorts auf dem Sofa bequem gemacht hatte, die Hände hinter dem Kopf verschränkt, das weiße Haar wild vom Kopf abstehend. Immer wieder begann das Bild zu schneien, sodass Johnny oder sein Dad aufstehen mussten, um die Antenne aus einem umfunktionierten Kleiderbügel hin- und herzuschieben.
    »Tut mir leid, Clem«, sagte Johnny.
    Der Regen troff ihr über den Rücken und sickerte in ihre Hose. »Schon gut«, sagte sie resigniert und wandte ihm das Gesicht zu, ohne die Augen zu öffnen.
    Er wusste genau, was sie da tat. Nur war ihre Einstellung in ihrer momentanen Lage alles andere als hilfreich. Selbst wenn man bis zum Hals in der Scheiße saß, konnte man sich immer noch am Schopf herausziehen. Er stand auf, blickte aufs Meer hinaus und tastete seine Taschen ab, um zu sehen, ob er noch etwas Tabak übrig hatte. Er trocknete seine Finger an seinem Hemd ab, drehte sich im Schutz seines Sweatshirts eine Zigarette und zündete sie an, indem er mit der Hand die Flamme gegen den Regen abschirmte. Sie würden einfach ein, zwei Stunden hier warten und dann zurück zur Straße gehen. Alles wäre wieder in bester Ordnung. Clem würde schon sehen. Sie würden den Hügel erklimmen, ein Auto anhalten, und morgen Abend würden sie über den Vorfall herzlich lachen. Als er sich Clem wieder zuwandte, um ihr einen Zug anzubieten, kniete sie auf ihrem Teppich, hatte die Handflächen aneinandergepresst und murmelte lautlos etwas vor sich hin.
    »Was machst du da?«
    »Ich bete auf meinem Gebetsteppich. Dafür ist er schließlich da.«
    »Aber nur, wenn du Moslem bist.«
    »Gott kümmert es nicht, welcher Religion man angehört.«
    Er schnippte die aufgeweichte Zigarette ins Wasser. Johnny wusste, dass Clem an Engel, Geister und an

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