Die Stimme des Blutes
täte, wenn der Graf von Reymerstone hier wäre? Ich würde ihn totschlagen. Tatsächlich überlege ich schon, ob ich nicht nach meiner Abreise von hier einen Abstecher zu diesem Schweinehund machen sollte, um ihm meine Verachtung für sein nichtswürdiges Tun auszudrücken.«
Sie legte die Hand auf seine Fäuste. »Damon Le Mark ist ein übles Subjekt, Sir Thomas. Er kennt weder Ehre noch Treue. Er sinnt nur auf Lug und Trug, und seine Seele ist bis in den Kern verrottet. Freude beschert ihm nur das Leiden eines anderen Menschen. Ach, laßt ihn doch an seinem eigenen Gift zugrunde gehen! Ich weiß, daß er den Tod erleiden wird, den er verdient.«
»Aber er hätte Euch getötet, wenn Burnell Euch nicht hergebracht hätte!«
»Das glaube ich nicht. Er hätte mich nur noch schlimmer mißhandelt, als er es schon einige Male getan hat.«
»Ich muß mit Roland sprechen«, sagte Sir Thomas schockiert. »Er ist berechtigt, an ihm Vergeltung zu üben.«
»Wenn Ihr das, was ich Euch gesagt habe, Roland oder meiner Tochter weitererzählt, werde ich Euch als Lügner hinstellen. Laßt es gut sein, Sir Thomas! Die böse Zeit ist vorbei. Ich bin wie neugeboren. Ich summe und singe wie ein übermütiger Spatz. Ja, die Lady neben Euch ist froh und zufrieden und hält sich für die glücklichste aller Frauen. Bleibt ruhig noch einen Augenblick hier! Ich hole Euch einen Krug Bier. Wäre Euch das recht, Sir?«
Sir Thomas sah ihr nach, wie sie beschwingten Schrittes zum Küchenhaus ging. Er bewunderte sie. Er fand sie einzigartig.
Es war eine Woche später. Daria sprach gerade mit dem Milchmädchen, als sie Hufschlag vernahm. Reiter waren angekommen. Sie wischte sich die Hände am Kleid ab und ging rasch in den Innenhof. Es waren Graelam de Moreton und drei seiner Männer. Er sah in seiner schwarzsilbernen Rüstung auf seinem mächtigen Kampfroß wie ein gewalttätiger und erbarmungsloser heidnischer Krieger aus. Sein Anblick erweckte Furcht in ihr.
Doch sie lächelte und rief laut: »Roland! Komm her! Graelam ist hier!«
Roland schritt auf Graelam zu, der inzwischen abgestiegen war, klopfte ihm auf die Schulter und umarmte ihn. Dann sagte Graelam: »Rolfe, kümmere dich um Damon! Wo ist deine Frau, Roland?«
»Hier bin ich, Mylord.«
Graelam musterte sie eine Weile schweigend. »Meine Kassia und ich haben uns große Sorgen um Euch gemacht, Daria. Ihr habt Euch eine Riesendummheit geleistet. Als die beiden Stallburschen mit schamroten Gesichtern ohne Euch zurückkamen, habe ich vor Angst um Euch Bauchschmerzen bekommen.«
»Verzeiht mir, Mylord. Es war unbedacht von mir.«
Hinter ihnen sagte Roland verwirrt: »Ich habe dir doch sofort eine Botschaft geschickt, Graelam, daß meine Frau wohlbehalten bei mir angekommen ist.«
Graelam drehte sich lächelnd zu ihm um. »Für Kassia war das nicht ausreichend. Sie verlangte, daß ich herreite, um mich mit eigenen Augen zu überzeugen, daß sich Daria in ihrem neuen Heim wohl fühlt und es ihrem Kind gutgeht. Daher erwarte ich, daß du mich gastlich aufnimmst.«
»O ja, natürlich! Kommt bitte in den großen Saal, Mylord! Meine Mutter wohnt jetzt auch bei uns. Ich möchte sie mit Euch bekanntmachen. Kennt Ihr schon Sir Thomas?«
Gegen seinen Willen mußte Roland über den Eifer seiner Frau lachen. Dann erkundigte er sich: »Wie geht es deiner Frau? Was macht Euer kleiner Schreihals?«
»Beiden geht es gut. Ich muß mich bei dir entschuldigen, Roland. Ich habe nicht gewußt, daß Daria sich auf Wolffeton so unglücklich fühlte.«
Roland wurde es unbehaglich. Achselzuckend erwiderte er: »Rolfe soll deine Männer auch herholen. Inzwischen wird Daria dafür sorgen, daß es genügend Bier gibt, um den stärksten Männerdurst zu löschen.«
Damit schritt Roland auf den großen Saal zu. Graelam de Moreton folgte ihm etwas gemächlicher. Er überlegte, wie zum Teufel er die Sache anpacken sollte. Er hatte immer noch die Worte seiner Frau im Ohr. »Es läßt mir keine Ruhe, Graelam. Die beiden liegen miteinander im Streit. Und doch ist auch Liebe im Spiel, zumindest von Darias Seite. Du mußt herausfinden, was da eigentlich los ist, und die Sache in Ordnung bringen.«
Kassia war nun mal aus irgendeinem Grunde der Überzeugung, daß er alles in Ordnung bringen könnte, sei es eine blutige Fehde zwischen zwei Nachbarn oder ein Ehestreit. Graelam seufzte. Wenn er schon Dinge schlichten sollte, dann tat er es am liebsten mit dem Schwert in der Hand auf dem Schlachtfeld.
Im Saal
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