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Die Stimme des Blutes

Titel: Die Stimme des Blutes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Coulter
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mahlte Daria frisch aus dem Garten geerntete Kräuter. Es war ein heißer Tag. Süß stieg ihr der Duft von Rosmarin in die Nase. Mit der Hand fächelte sie sich Luft zu. Sie hatte die verschiedenen Kräuter vor sich auf der Tischplatte in kleine Häufchen sortiert. Leider konnte sie sich nicht näher ans Fenster setzen, weil jeder Luftzug die Häufchen durcheinandergewirbelt hätte.
    Ihre Mutter hockte sicherlich mit Sir Thomas zusammen. Während Daria drei Prisen Rosmarin an den duftenden Dill tat, dachte sie: Zwischen den beiden spinnt sich etwas an. Vor einigen Tagen hatte sich Sir Thomas zwölf von Rolands Männern ausgeliehen. Sie hatten sein Geld zu Sir Thomas' Tochter und ihrer Familie transportiert. Auf Rolands dringende Bitte war Sir Thomas dann nach Chantry Hall zurückgekommen.
    Daria nahm genau drei Prisen von grobgemahlenem Fingerhut und mischte sie unter einen kleinen Stapel von feingestoßenen Mohnblumen. Sie hatte sehr wenig davon und mußte daher sparsam damit umgehen. Roland war frühmorgens mit vier Männern zu einem starrköpfigen alten Bauern an der Nordgrenze von Chantry Hall geritten. Sie schaute zum Fensterspalt. Die Sonne stand schon tief. Er mußte bald zurück sein... Sie war schon froh, wenn sie ihn nur sah, ihn sprechen oder lachen hörte. Ich bin wirklich eine Närrin, sagte sie sich. Aber dagegen war nun mal nichts zu machen.
    Er hatte sie jetzt seit einer Woche nicht mehr angerührt, seit er die Hand auf den Bauch gelegt und die kleine Wölbung gefühlt hatte. Sie hielt in der Arbeit inne und erinnerte sich daran, wie schnell er es an jenem Morgen gehabt hatte wegzukommen, nachdem er sie hastig begattet hatte. Jetzt war er ihr so fern, als wäre er wieder in Wales. Nein, sie wollte nicht an ihn denken. Es gab anderes, womit sie sich zu beschäftigen hatte.
    Sie nahm ein Häufchen Basilienkraut und fügte es einer Mixtur gegen Magenkrämpfe zu. Dabei sang sie leise ein Liedchen. Plötzlich erstarrte sie. Ihr Blick ging starr geradeaus.
    Eine große Tür öffnete sich vor ihr. Sie sah sich selber, wie sie durch die Tür in ein Feld von blendendem Weiß schritt. Es war so dicht wie Nebel, aber rein und trocken. Sie blieb darin stehen. Und plötzlich erblickte sie Graelam. Er arbeitete an der Ostmauer. Er riß dort alte Feldsteine heraus. Gerade hob er einen mächtigen Block in die Höhe, drehte sich um und schleuderte ihn weg. Andere Männer reichten die Steine, die er entfernt hatte, weiter. Daria sah, wie er, mit dem Rücken zur Mauer, einem der Männer etwas zurief.
    Plötzlich brach die Mauer hinter ihm krachend zusammen. Riesige Steinbrocken prasselten herab. Sie sah, wie Graelam herumwirbelte, wie ihm die Brocken auf Schultern und Brust fielen. Er brach in die Knie. Immer mehr Steine hagelten auf ihn und begruben ihn unter sich. Ringsum schrien alle aufgeregt durcheinander und rannten davon, um sich vor der Steinlawine in Sicherheit zu bringen. Steinsplitter flogen in alle Richtungen. Dichter, grauer Staub wirbelte hoch und hüllte alles ein. Danach herrschte Totenstille. Und ebenso plötzlich verschwand das blendende Weiß, und Daria saß wieder auf ihrem Stuhl.
    Sie sprang auf und schoß aus dem Wohnzimmer. Sie war sich keinen Augenblick darüber im unklaren, was sie eben gesehen hatte. Sie hatte eine Vision gehabt, genau wie vor einigen Jahren, als sie den Tod ihres Vaters gesehen hatte. Ohne Zögern rannte sie zur Ostmauer, wo die Männer tatsächlich schon schreiend hin und her liefen.
    Sie rannte weiter bis zu der Stelle, wo Graelam zu Fall gekommen war. Hier knieten schon Männer und räumten die Gesteinstrümmer weg. Sie stieß einige zur Seite und begann fieberhaft zu graben. Dabei fielen mehrere kleinere Steine herunter und trafen sie schmerzhaft. Doch sie ließ sich nicht beirren. Sie wußte ja, wo sich sein Kopf befand. Diese Stelle mußte sie freimachen, damit er Luft bekam. Jemand versuchte sie, wegzuzerren. Sie drehte sich um, und ein Blick in ihr Gesicht ließ den Mann zurückweichen. Sie arbeitete so besessen, bis sie meinte, ihr müßten die Arme abfallen.
    Da sah sie ihn. Endlich waren Kopf und Oberkörper frei. Er lag auf der Seite, die Arme zum Schutz über den Kopf gelegt.
    Er rührte sich nicht.
    Sie fiel neben ihm auf die Knie. »Graelam!« Sie packte ihn an einem Arm und drehte ihn auf den Rücken.
    »Er ist tot«, murmelte einer der Männer. »Mausetot. Da könnt Ihr nichts mehr machen, Herrin.«
    »Er ist nicht tot!« schrie Daria. Dann schlug sie dem

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