Die Stimme des Blutes
Schatztruhe geblieben ist? Ich denke, daß wir im nächsten Jahr genügend Wolle haben werden, um sie verkaufen zu können. Das macht uns unabhängiger.«
»Sprichst du im Emst? Ich dachte, Männer schätzen es nicht, wenn Frauen solche Dinge in die Hand nehmen. Ich würde mich allerdings sehr gern darum kümmern!«
»Wenn du damit fertig bist, legst du mir die Aufstellung vor, und dann beschließen wir gemeinsam, was wir uns als erstes leisten können.«
Sie schaute ihn erstaunt an und platzte dann heraus: »Warum bist du auf einmal so ganz anders zu mir?«
»Wie denn?«
»Na, so nett... als läge dir wirklich etwas an...«
Er schnitt ihr das Wort ab. Er ahnte, was sie im Begriff war zu sagen, und wollte es nicht hören. »Diese Arbeit muß gemacht werden, und du bist dafür geeignet. Oder hast du Zweifel an deiner Fähigkeit?«
Sie reckte das Kinn. »Nicht im geringsten.«
Da lächelte er sie an, und seine dunklen Augen leuchteten warm und anerkennend.
Es war der 2. September. Die Luft war frisch und kühl. Ein Tag im Frühherbst mit wolkenlosem Himmel und strahlender Sonne, die das Land ringsum in aller Farbenpracht erstrahlen ließ. Daria atmete tief durch. Laute Schreie hatten sie aus dem großen Saal ins Freie gelockt. Um zu sehen, was da im Gange war, mußte sie sich auf die Zehenspitzen stellen. Ihr Mann trug einen Ringkampf aus. Mit nacktem Oberkörper umkreiste er schweratmend und schweißbedeckt seinen Gegner, einen riesenhaften Kerl, der so aussah, als könnte er Roland in Stücke reißen. Die Krieger hatten einen Halbkreis um die beiden gebildet und feuerten sie lautstark an.
Als der andere plötzlich Roland ansprang, erstarrte Daria. Warum standen seine Männer müßig herum? Warum halfen sie Roland nicht? Entsetzt sah Daria, wie der andere Roland um den Leib packte und ihn anhob. An seinen mächtigen Oberarmen traten die Muskeln hervor. Er war bestimmt so stark, daß er Roland zerdrückten konnte.
Sie hatte solche Angst um ihn, daß sie ohne Besinnen handelte.
Die langen Röcke raffend, stürmte sie die steile Steintreppe hinunter in den Innenhof, erreichte den Kreis der Zuschauer, schob und stieß sie beiseite, bis sie mitten auf dem Kampfplatz stand. Wütend beschimpfte sie die Männer. »Warum greift ihr nicht ein, ihr elenden Feiglinge? Wollt ihr etwa mitansehen, wie der Kerl Euren Herrn umbringt, ihr dreckigen Hurensöhne?« Sie hörte das schwere Atmen Rolands und seines Gegners und die derben Flüche, die sie ausstießen. Irgendwie hatte Roland sich aus dem Griff befreien können. Der Riese schrie eine gräßliche Verwünschung, griff erneut an und packte Roland. Im selben Augenblick saß ihm Daria im Nacken.
Schreiend klammerte sie sich an seinem dicken Hals fest und hämmerte mit der Faust auf seinen Schädel ein. »Nein, wage es ja nicht, ihn anzurühren! Sonst schlage ich dich tot!« In der Absicht, ihm die Luft abzuschnüren, nahm sie ihn in die Beinschere, riß ihm den Kopf zurück und setzte zum Würgegriff an. Dabei stieß sie gellende Schreie aus und schlug minutenlang, vor Angst um Roland mit ungeahnten Kräften ausgestattet, ohne Besinnen auf ihn ein. Erst dann merkte sie, daß der Mann einfach stehengeblieben war und nicht einmal den Versuch unternahm, sie abzuschütteln.
»Daria!«
Wie durch dicken Nebel hörte sie ihren Namen, schüttelte aber nur den Kopf und bearbeitete den Schädel des Riesen weiter, so hart sie konnte, mit den Fäusten.
»Daria! Bei allen Heiligen, laß das sein!«
Auf einmal stand Roland neben ihr. Der Mann, auf den sie wie eine Verrückte einhämmerte, rührte keinen Finger und ließ sich alles gefallen.
Roland streckte die Arme nach ihr aus. »Jetzt ist es aber genug. Komm!«
»Aber ich will nicht, daß er dich verletzt und...« Noch einmal landete sie einen Faustschlag, der den Mann seitlich am Kopf traf.
»Bei allen Heiligen, hör endlich auf! Du kannst doch Rollo nicht das bißchen Verstand, das er noch hat, aus dem Schädel trommeln! Aufhören! Laß ihn los! Komm her!«
Sie löste Beinschere und Würgegriff und ließ sich von Roland in die Arme nehmen und auf dem Pflaster absetzen. Dann tastete sie seinen Kopf bis zu den Schultern ab, um sich zu vergewissern, daß er nicht verletzt war. »Ich hatte solche Angst... ich dachte, er bringt dich um. Er ist doch so groß und stark und ...«
Die Männer ringsum waren still geworden. Langsam drehte sie sich um und betrachtete den riesenhaften Kerl. Er stand noch immer völlig ruhig da und
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