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Die Stimme des Herrn.

Die Stimme des Herrn.

Titel: Die Stimme des Herrn. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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›Nabelbruch‹. Es gibt lediglich eine durch rein physikalische, natürliche Prozesse ausgelöste Strahlung, die völlig unpersönlich ist, also auch keinerlei sprachlichen Charakter, keinen Inhalt, keine Bedeutung besitzt … Diese Strahlung stellt ein dauerhaftes Bindeglied zwischen den einander ablösenden Welten, den erlöschenden und den neuerstehenden dar, sie verbindet sie energetisch und informationell miteinander, durch sie bewahren sie Kontinuität, sind Wiederholungen, nicht zufällige, sondern eben regelmäßige, also könnte man auch sagen, daß dieser Neutrinostrom der ›Keim‹ des nächstfolgenden Kosmos, daß dies eine Art ›Generationswechsel‹ der durch die Zeit voneinander getrennten Universa ist, aber diese Analogie enthält natürlich nichts Biologisches. Die Neutrinos sind nur deshalb das ›Korn‹ des Zerfalls, weil sie die beständigsten Teilchen von allen sind. Ihre Unzerstörbarkeit ist die Garantie für die kreisförmige Wiederkehr der Kosmogenese, ihre Wiederholungen …«
    Er formulierte das alles natürlich weitaus präziser, untermauerte es nach besten Kräften durch Berechnungen. Es wurde sehr still während seines Vortrages, und als er geendet hatte, setzten die Angriffe ein.
    Er wurde mit Fragen überschüttet: Welche Erklärung er für das »biophile« Signal hätte? Woher seine lebenbegünstigende Eigenschaft käme? Ob sie, seiner Meinung nach, »reiner Zufall« sei? Und in erster Linie – wo wir den »Froschlaich« herhätten?
    »Ich habe mir natürlich meine Gedanken darüber gemacht«, entgegnete Learney. »Sie fragen mich, wer das geplant, verfaßt und abgeschickt hat. Ohne diese lebenbegünstigende Seite der Strahlung wäre Leben in der Galaxis ein außerordentlich seltenes Phänomen! Nun, und so frage ich Sie meinerseits, und wie ist es auf der Erde mit den physikalischen Eigenschaften des Wassers bestellt? Wenn Wasser mit einer Temperatur von vier Grad plus nicht leichter wäre als Wasser mit einer Temperatur von null Grad und wenn Eis nicht schwämme, würden sämtliche Wasserspeicher bis zum Grunde einfrieren, und kein im Wasser lebendes Wesen würde das außerhalb der Äquatorzone überstehen. Und wenn das Wasser eine andere, weniger hohe Dielektrizitätskonstante besäße, könnten sich keine Eiweißmoleküle darin bilden, es gäbe also auch kein Eiweißleben. Aber fragt denn jemand in der Wissenschaft danach, wer hier aus Freundlichkeit eingegriffen, wie und wer die Dielektrizitätskonstante des Wassers oder die größere Leichtigkeit des Eises bewirkt hat? Niemand fragt danach, weil wir solche Fragen für sinnlos halten. Wenn das Wasser andere Eigenschaften hätte, wäre Leben entweder auf einer Nichteiweißbasis entstanden, oder aber es gäbe überhaupt keins. Analog dazu darf man auch nicht fragen, wer uns die biophile Strahlung geschickt hat. Sie erhöht die Wahrscheinlichkeit, daß hochmolekulare Körper überleben, was, wenn Sie so wollen, entweder ein Zufalloder eine ebensolche in der Natur der Sache liegende Notwendigkeit ist wie die, welche aus dem Wasser eine ›lebenbegünstigende Substanz‹ gemacht hat. Man muß das ganze Problem umkehren, es vom Kopf auf die Füße stellen, und dann lautet es: Dank dem Umstand, daß das Wasser die und die Eigenschaften besitzt, wie auch dank dem Umstand, daß es im Kosmos eine Strahlung gibt, die die Biogenese stabilisiert, kann Leben entstehen und der wachsenden Entropie erfolgreicher trotzen, als das sonst der Fall wäre …«
    »Der ›Froschlaich‹!« wurde gerufen. »Der ›Froschlaich‹!«
    Ich fürchtete, daß gleich alle anfangen würden im Sprechchor zu brüllen, der Saal war bereits aufgeheizt wie bei einem Boxkampf.
    »Der ›Froschlaich‹? Sie wissen besser als ich, daß es nicht gelungen ist, den sogenannten Brief ganz zu entschlüsseln, sondern nur einzelne ›Bruchstücke‹ – aus ihnen entstand der ›Froschlaich‹. Das heißt, daß der ›Brief‹ als Ganzes außerhalb Ihrer Vorstellungen nicht existiert und der ›Froschlaich‹ einfach das Resultat einer extrahierten Information ist, die in der Neutrinostrahlung enthalten ist und mit der sich etwas anfangen ließ. Durch den ›Spalt der Welten‹, der untergehenden und der entstehenden, ist ein Schwall der Neutrinowelle bis nach draußen durchgedrungen, aufgebläht wie eine Seifenblase. Die Energie dieser Welle reicht aus, um das nächste Weltall ›hinauszupusten‹, und die Front dieser Welle ist mit einer Information durchtränkt, die

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