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Die Stimme des Herrn.

Die Stimme des Herrn.

Titel: Die Stimme des Herrn. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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– als Chance, körperliche Schönheit zu verbreiten. Ich spreche jedoch von den Anfängen eines Weges, den man mit dem Hinweisschild »der Verstand im Dienste der Triebe« versehen könnte. Und zwar deshalb, weil die übergroße Mehrheit der materialisierten Produkte des Verstandes für typisch sybaritische Dienstleistungen eingesetzt wird. Der klug konstruierte Fernsehapparat verbreitet intellektuellen Seich, die großartigen Kommunikationstechniken dienen dem Zweck, daß ein Idiot, statt sich in den eigenen vier Wänden zu betrinken, das gleiche, als Tourist verkleidet, vor dem Petersdom tun kann. Wenn diese Tendenz zu einem Eingreifen der technischen Mittel in den menschlichen Körper führen sollte, ginge es gewiß darum, die Palette der Lustempfindungen maximal zu erweitern odervielleicht sogar darum, uns über den Sex, die Rauschgifte, den kulinarischen Genuß hinaus noch Zugang zu anderen, bisher gänzlich unbekannten Arten von sinnlichen Reizen und Befriedigungen zu verschaffen.
    Wenn wir schon ein »Lustzentrum« in unserem Gehirn haben, was könnte uns dann verbieten, synthetische Sinnesorgane an selbiges anzuschließen, die es ermöglichen, mystische und nichtmystische Orgasmen zu erreichen – mittels eigens dazu geplanter und ersonnener Praktiken, die den Menschen zu einer weitgefächerten Ekstase führen sollen? Eine auf solche Art verwirklichte Autoevolution stellt ein definitives Sicheinschließen in der Kultur, in Sitte und Brauch dar, eine Abgrenzung von der außerplanetarischen Welt und erscheint als überaus angenehme Form geistigen Selbstmords.
    Technik und Wissenschaft sind ganz gewiß imstande, Apparaturen bereitzustellen, die sowohl die Bedingungen des ersten als auch des zweiten Entwicklungsweges erfüllen. Damit, daß sie uns beide eher monströs vorkommen, jeder auf seine Weise, ist noch gar nichts entschieden.
    Denn diese Veränderungen negativ einzuschätzen, wäre völlig unbegründet. Der Leitsatz, man solle es sich »nicht allzu gut gehen lassen«, kann nur so lange mit rationellen Argumenten begründet werden, wie, was dem einen Individuum angenehm ist, gleichzeitig einem anderen schadet (oder: seinem eigenen Körper oder seiner Seele schadet, was zum Beispiel bei der Rauschgiftsucht der Fall ist). Dieser Leitsatz kann Ausdruck einer ganz gewöhnlichen Notwendigkeit sein, und dann muß man sich ihm diskussionslos unterwerfen. Aber die Techniken sind ja in ihrer Entwicklung so ausgerichtet, daß sie der Reihe nach sämtliche Notwendigkeiten, die möglichen Handlungen Schranken setzen, aus dem Wege räumen. Diejenigen, die behaupten, auf irgendwelche Notwendigkeiten in Gestalt von Freiheitsbeschränkungen werde die Zivilisation immerstoßen, sind im Grunde genommen Anhänger des naiven Glaubens, daß der Kosmos nicht ohne den Gedanken an »die wahren Pflichten« des vernunftbegabten Wesens eingerichtet worden sei. Das ist die gewöhnliche Verlängerung des biblischen Urteils »im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot verdienen«. Es ist nicht, wie diese naiven Leute mitunter meinen, ein ethischer, sondern ein eindeutig ontologischer Standpunkt. Das Dasein, das uns als Wohnstatt bereitet ist, wurde so möbliert, daß durch keinerlei Erfindungen ein Stand erreicht wird, da »einem schwindelt vor Erfolgen«.
    Doch auf einem derart primitiven Glauben lassen sich weitreichende Prognosen unmöglich aufbauen. Wenn nicht aus »puritanischen« oder »asketischen« Gründen, dann werden solche Thesen mitunter aus Furcht vor der großen Veränderung verkündet. Diese Furcht hockte auf dem Grunde aller gelehrten Argumente, die von vornherein ausschlossen, daß es möglich sei, »gescheite Maschinen« zu bauen. Die Menschheit hat sich seit eh und je in zumindest ein wenig desperaten Situationen am heimischsten, wenn auch nie bequem gefühlt: Diese Beimengung ist nicht komfortabel für den Körper, aber sie beruhigt den Geist. Der Ruf »Alle Kräfte und Reserven an die Front der Wissenschaft!« läßt sich ebenfalls nur so lange rational begründen, wie die »gescheiten Maschinen« nicht imstande sind, die Wissenschaftler effektiv zu ersetzen.
    Im Grunde genommen sind wir nicht fähig, etwas Sinnvolles über das reale Aussehen beider Richtungen – der expansiven, also »asketischen«, oder der »einkapselnden«, also hedonistischen – auszusagen. Zivilisationen können den einen wie den anderen Weg einschlagen – den Kosmos attackieren oder sich von ihm abgrenzen. Das Neutrinosignal

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