Die Stimme des Herrn.

nähere Angaben zur Verfügung gestellt, es handele sich also durchaus nicht um einen »Parallelversuch«, um die Absicht, uns zu übertreffen, sondern nur um ein abweichendes Herangehen an die »Stimme des Herrn«, getragen von dem Gedanken, die Ansichten dergestalt gegenüberzustellen, wie es eben jetzt geschehe.
    Er legte keine Pause für Applaus ein, und das war gut so, denn den hätte es sicherlich nicht gegeben, sondern er kam sofort zur Sache, und er tat dies durchaus verständlich. Er nahm mich sowohl durch seine Vorlesung als auch durch seine Person für sich ein, und nach den Reaktionen im Saal zu urteilen, die anderen gleichfalls.
    Sein Spezialgebiet war die Kosmogonie in der HubbleVariante und der Modifikation von Hayakawa (und auch meiner, wenn ich mal so sagen darf, obwohl ich nur die mathematischen Körbe für die Flaschen geflochten hatte, in die Hayakawa neuen Wein goß). Ich werde versuchen, seine Ausführungen in groben Zügen darzustellen und, wenn möglich, auch das Mitreißende des Vortrags wiederzugeben, der mitunter von Stimmen aus dem Saal unterbrochen wurde – denn eine trockene Inhaltsangabe dieser Konzeption würde sie ihres ganzen Reizes berauben. Die Mathematik lasse ich natürlich weg, obwohl sie eine eigene Rolle dabei spielte.
    »Ich sehe das so«, sagte Learney, »der Kosmos ist ein pulsierendes Gebilde, das sich alle dreißig Milliarden Jahre abwechselnd zusammenzieht und wieder ausdehnt. In der Phase des Zusammenziehens kommt es schließlich zu einem Kollaps, bei dem der Raum zerfällt, der nicht mehr nur um Sterne gekrümmt und geschlossen ist, wie im Falle der Schwarzschild-Sphäre, sondern um alle Partikel, sogar um die Elementarteilchen! Weil der ›gemeinsame‹ Raum der Atome zu existieren aufhört, verschwindet selbstverständlich auch die gesamte uns bekannte Physik, erfahren ihre Gesetze eine Veränderung … Dieser raumlose Schwarm schrumpft weiter, und dann wird das Ganze – bildlich gesprochen – umgestülpt in das Gebiet der verbotenen energetischen Zustände, in den ›negativen Raum‹, also ist das kein Nichts, sondern weniger als das Nichts, zumindest mathematisch!
    Unsere gegenwärtige Welt hat keine Antiwelten, das heißt, sie hat sie zeitweilig, einmal in dreißig Milliarden Jahren. Die ›Antiteilchen‹ in unserer Welt sind nur die Spuren jener Katastrophen, ein archaisches Relikt und natürlich auch die Möglichkeit der nächsten Katastrophe. Aber es bleibt, ich kehre zu meinem Bild zurück, eine Art ›Nabelschnur‹, in der sich noch ein Restchen nichterloschener Materie herumtreibt, die Glutreste des sterbenden Alls, es ist dies der Spalt zwischen dem schwindenden ›positiven‹ Raum, dem unseren, und jenem anderen ›negativen‹ … Dieser Spalt bleibt offen, er wächst nicht zu, schließt sich nicht, weil ihn die Strahlung – eben die Neutrinostrahlung! – immer wieder auseinanderdrängt. Diese Strahlung ist etwas wie die letzten Funken einer Feuerstätte, und von ihr geht die nächste Phase aus, denn wenn das ›Umgestülpte‹ bereits die Grenzen seiner ›umstülpenden‹ Expansion erreicht, die ›Antiwelt‹ geschaffen, sie ausgebreitet hat, beginnt es wieder, sich zusammenzuziehen und durch den Spalt nach draußen zu dringen, zuerst als Neutrinostrahlung – sie ist die härteste und beständigste – gibt es doch noch kein Licht, sondern nur, hinter der Neutrinostrahlung, eine extreme Gammastrahlung! Das, was von neuem den sich weitenden Kosmos aufzublähen und kugelig zuformen beginnt, ist die sich sphärisch ausbreitende Neutrinowelle, und diese Welle ist gleichzeitig die Matrize für die Erschaffung aller Teilchen, die alsbald den neu entstehenden Kosmos bevölkern werden, sie trägt diese Teilchen in sich, aber nur virtuell, weil sie die für eine derartige Materialisierung nötige Energie besitzt.
    Und wenn nun in diesem Kosmos die Flucht der Galaxien bereits im vollen Gange ist, so wie in unserm, irrlichtern in ihm noch Echos der Neutrinowelle umher, die ihn gezeugt hat, und EBEN DAS IST DIE STIMME DES HERRN! Aus der Stoßwelle, die sich durch den ›Spalt‹ zwängt, aus dieser Neutrinowelle entstehen die Atome, Sterne und Planeten, die galaktischen Nebel und Metagalaxien, und damit existiert das ›Problem des Briefes‹ nicht mehr … Nichts hat uns eine andere Zivilisation über den ›Neutrinotelegrafen‹ geschickt, am anderen ›Ende‹ gab es niemanden, keinen Absender, nichts, außer der kosmischen Pulsation, jenem