Die Stimme des Herrn.
Interpreten des Projekts zwängen ihre Kenntnisse in der Regel in das Korsett ihrer Anschauungen und schnippeln, was dort nicht hineinpaßt, kurz und schmerzlos weg. Manche dieser Bücher sind, zumindest ob des Einfallsreichtums ihrer Autoren, zu bewundern. Doch gleitet dieses Genre unmerklich in eine eigentümliche Variante ab, die man als »MAVO«-Schund bezeichnen kann. Die Wissenschaft ist seit eh und je vom Dunstkreis einer aus allen möglichen unausgegorenen Köpfen emporbrodelnden Pseudowissenschaft umgeben gewesen, kein Wunder also, daß das »MAVO«, als Erscheinung ohne Präzedens, ein nachgerade beunruhigend heftiges Aufschäumen verrenkter Hirne ausgelöst hat, die in der Entstehung einer Reihe religiöser Sekten gipfelte.
Die Informationsmenge, die vonnöten ist, um sich wenigstens einigermaßen Einblick in die Problematik des Projekts zu verschaffen, übersteigt, genaugenommen, das Fassungsvermögen eines einzelnen menschlichen Gehirns. Doch die Unwissenheit, die den Eifer der Vernünftigen bremst, hält Dummköpfe mitnichten ab, und so kann denn in dem Meer von bedrucktem Papier, das auf das »Master’sVoice«-Projekt zurückgeht, jeder das richtige für sich finden, vorausgesetzt, es kommt ihm nicht allzusehr auf die Wahrheit an. Im übrigen haben sich durchaus höchst achtbare Personen darin versucht, über »Master’s Voice« zu schreiben. »Die neue Offenbarung« des geschätzten Patrick Gordiner ist immerhin logisch klar, was ich freilich nicht mehr vom »Brief des Antichristen« des Paters Bernard Pignan behaupten könnte. Der fromme Pater nämlich verweist das »MAVO« in den Bereich der Dämonologie (nicht ohne zuvor das nihil obstat seiner Kirchenoberen eingeholt zu haben), und sein letztliches Mißlingen schreibt er der Fürsprache der Vorsehung zu. Das rührt wohl, wie ich vermute, vom »Herrn der Fliegen« her, einer während des Projekts geschmiedeten scherzhaften Bezeichnung, die Pater Pignan für ernst nahm und also handelte wie ein Kind, das glaubt, die Sterne und Planeten seien deutlich beschriftet und die Astronomen läsen die Namen durch ihre Teleskope ab.
Was aber soll man erst zu der Unmenge von sensationellen Versionen sagen, die an jene tiefgefrosteten, zum sofortigen Verzehr bereiten, ja fast schon vorgekauten Fertiggerichte erinnern, welche hinter ihrer Zellophansichtscheibe bedeutend leckerer aussehen, als sie schmecken. Der Grund für ihr scheinbar verschiedenes Aussehen ist eine immer andere, aber stets märchenhaft bunte Soße. Mit einer Soße aus Politik und Spionage würzte die »Look« ihre Reportagenfolge (und legte mir dabei Worte in den Mund, die ich niemals geäußert habe), im »New Yorker« bestand sie aus einer feineren, weil durch Beigabe gewisser philosophischer Extrakte aufbereiteten Substanz, in »MAVO – the True Story« hinwiederum lieferte ein Dr. med. W. Shaper eine psychoanalytische Interpretation der Ereignisse, aus welcher ich erfuhr, daß die Leute des Projekts motiviert waren von einer durch die Übertragungen der neuesten – kosmischen – Sexmythologie entarteten Libido.
Dr. Shaper befindet sich zudem im Besitz genauer Kenntnisse über das Sexualleben kosmischer Zivilisationen.
Ich bin außerstande zu begreifen, wieso man Leute ohne Führerschein im Straßenverkehr nicht zuläßt, auf die Bücherregale hingegen in beliebiger Anzahl die Bücher von Leuten ohne Anstand gelangen können, von ihrem Wissen ganz zu schweigen. Ausgelöst wurde diese Inflation des gedruckten Wortes zweifelsohne durch das exponentielle Anwachsen der Zahl der Schreibenden, aber gleichermaßen auch durch die Verlagspolitik. Die Kinderzeit unserer Zivilisation war ein Zustand, da nur auserwählte Personen mit gediegener Bildung lesen und schreiben konnten, und ein ähnliches Kriterium war auch nach der Erfindung der Buchdruckerkunst noch wirksam, ja selbst wenn die Werke von Dummköpfen verlegt wurden (was sich wohl schwerlich ganz umgehen läßt), dann war ihre Zahl insgesamt niemals so unübersehbar groß wie heutzutage. Heute müssen wertvolle Publikationen in einem Meer von Schund untergehen, denn unter zehn miserablen Büchern findet man leichter ein gutes Buch heraus als tausend unter einer Million. Überdies wird das Pseudoplagiat unvermeidlich – die ungewollte Wiederholung fremder, aber nicht bekannter Gedanken.
Ich kann mir nicht sicher sein, ob das, was ich schreibe, nicht ähnlich bereits geschrieben worden ist. Das ist das Risiko einer Zeit, in der die
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