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Die Stimme des Herrn.

Die Stimme des Herrn.

Titel: Die Stimme des Herrn. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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daß ich einen Gelehrten in einem ziemlich miesen Film mime. Das Gefühl verstärkte sich noch in dem Zimmer oder vielmehr dem Appartement, in das man mich verfrachtet hatte. Ich kann mich nicht erinnern, jemals so viele nutzlose Dinge zur Verfügung gehabt zu haben. In dem Arbeitszimmer stand ein Schreibtisch, der des Präsidenten würdig gewesen wäre, ihm gegenüber zwei Fernsehapparate und ein Radio. Der Sessel hatte eine Verstellvorrichtung und ließ sich heben, drehen und flach ausziehen, sicherlich, damit man zwischen den geistigen Kämpfen ab und zu ein Nickerchen einlegen konnte. Daneben befand sich ein großes Etwas unter einer weißen Hülle. Ich hielt es zuerst für eine Fitness-Trainingsmaschine oder für ein Schaukelpferd (selbst über ein Pferd hätte ich mich nicht mehr gewundert), aber es war ein funkelnagelneues, sehr hübsches IBM-Kryotronenarithmometer, das mir tatsächlich gut zupasse kam. Die Ingenieure des IBM hatten den Menschen noch gründlicher an die Maschine anschließen wollen und verlangten von ihm, daß er auch mit den Füßen rechnete. Die Maschine besaß ein Löschpedal, und wenn ich darauf trat, erwartete ich immer instinktiv, an der Wand zu landen, so sehr ähnelte das Ding einem Gaspedal. Im Wandschrank hinter dem Schreibtisch entdeckte ich ein Diktiergerät, eine Schreibmaschine und eine vorsorglich sehr gut bestückte kleine Hausbar.
    Das Kurioseste allerdings war die Handbibliothek. Der sie zusammengestellt hatte, war wohl überzeugt gewesen, daß Bücher um so wertvoller seien, je mehr sie kosteten. Da gab es also Enzyklopädien, Wälzer über die Geschichte der Mathematik und der Wissenschaft, sogar welche über dieKosmogonie der Maya. Es herrschte darin eine ideale Ordnung, was die Buchrücken und die Einbände betraf, und eine komplette Sinnlosigkeit, was den gedruckten Inhalt anging – in dem ganzen Jahr machte ich nicht einmal von meiner Bibliothek Gebrauch. Das Schlafzimmer war nicht minder famos. Ich entdeckte darin eine elektrische Wärmflasche, eine Hausapotheke sowie ein Minihörgerät. Ich weiß bis heute nicht, ob das ein Witz oder ein Mißverständnis war. Alles in allem hatte wohl jemand genau einen Befehl befolgt, der da geheißen haben mochte: »Zu schaffen ist ein ausgezeichnetes Quartier für einen ausgezeichneten Mathematiker«, und das war nun die Folge. Als ich auf dem Nachttischchen neben dem Bett eine Bibel erspähte, war ich beruhigt: man hatte weiß Gott alles getan, damit ich mich wohl fühlte.
    Das Buch, das den Sternencode enthielt und das man mir feierlich überreicht hatte, war nicht eben spannend, wenigstens nicht bei der ersten Lektüre. Sein Anfang lautete: »0001101010001111100110111111001010010100«. Der Rest war ähnlich. Die einzige zusätzliche Information besagte, ein »Buchstabe« setze sich sicherlich aus 9 binären Elementarzeichen zusammen.
    Nachdem ich meine neue Residenz in Besitz genommen hatte, begann ich Überlegungen anzustellen. Sie gingen etwa in die Richtung: Die Kultur ist etwas zugleich Notwendiges und Zufälliges, etwas wie das Polster eines Nestes, ein Ort, der Zuflucht bietet vor der Welt, eine kleine Antiwelt, die von der großen schweigend, gleichgültig gebilligt wird, weil es in ihr keine Antwort auf die Frage nach Gut und Böse, Schön und Häßlich, nach Gesetz und Sitte gibt. Die Sprache, ein Produkt der Kultur, ist wie das Skelett des Nestes, sie fügt alle Teilchen der Polsterung zusammen und vereinigt sie zu einer bestimmten Form, die den Nestbewohnern als notwendig erscheint. Sie ist ein Appell an die Identität derer, die im Neste hocken, derNenner ihrer Gemeinsamkeit, die Invariante ihrer Ähnlichkeit, folglich hört sie gleich jenseits des Randes dieser subtilen Konstruktion auf.
    Die Absender mußten das gewußt haben. Man hatte als Inhalt des Signals von den Sternen Mathematik erwartet. Die berühmt-berüchtigten Pythagoräischen Dreiecke hatten ja bekanntlich eine große Karriere hinter sich, die Euklidische Geometrie hatte den Zivilisationen als Mittel dienen sollen, über die Abgründe des Alls hinweg einander zu grüßen. Die Absender hatten eine andere Wahl getroffen, ich hielt das für richtig. Mit einer ethnischen Sprache kamen sie nicht los von ihrem Planeten, denn jede Sprache ist an ihren lokalen Untergrund festgeschmiedet. In der Mathematik wiederum ist die Loslösung zu endgültig: Sie sprengt nicht nur die lokalen Bande, jene Schranken, innerhalb derer auch Laster und Tugend liegen, sie

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