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Die Stimme des Herrn.

Die Stimme des Herrn.

Titel: Die Stimme des Herrn. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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resultiert aus der Suche nach einer Freiheit, die sich aller greifbaren Prüfsteine entledigt. Aus dem Wirken von Baumeistern, die möchten, daß die Welt niemals und in nichts störend in ihr Werk eingreift, und so kann man denn mit Hilfe der Mathematik auch gar nichts über die Welt aussagen – aus eben diesem Grund wird sie als »rein« bezeichnet, weil sie von allen materiellen Anflügen gereinigt ist, und diese vollendete Reinheit macht sie unsterblich. Aber eben dadurch ist sie frei und ungebunden – als Gebärerin möglicher Welten, die einander nur nicht widersprechen dürfen. Aus der unendlichen Vielzahl möglicher Mathematiken haben wir die eine gewählt, unsere Geschichte mit ihren einmaligen und unwiderruflichen Geschehnissen hat so entschieden.
    Mit Hilfe der Mathematik kann man lediglich anzeigen, daß man IST, daß man EXISTIERT. Wenn man über große Entfernungen hinweg wirksam werden will, wird es unerläßlich, ein Produktionsrezept abzuschicken. Doch solch ein Rezept setzt eine Technologie voraus, die Technologie aber ist ein befristeter, vorübergehender Zustand, der Übergang von den einen Rohstoffen und Methoden zu immer anderen. Also die Beschreibung einer »Sache«? Jedoch auch eine Sache läßt sich auf unendlich viele Arten beschreiben. Wir saßen in der Zwickmühle.
    Eines ließ mir keine Ruhe: Der »Sternencode« war kontinuierlich gesendet worden, mit unablässigen Wiederholungen, und das war unverständlich, denn das machte es schwierig, das Signal eben als Signal zu identifizieren. Der unselige Laserowitz war nicht in allen Punkten verrückt gewesen: Periodische »Schweigezonen« erschienen in der Tat notwendig, mehr noch – unerläßlich – als Hinweis, daß es sich um ein künstliches Signal handelte. Stillezonen hätten die Aufmerksamkeit jedes Beobachters erregt. Warum also war man nicht so verfahren? Ich kam nicht los von dieser Frage. Ich versuchte, sie umzukehren: Das Fehlen von Pausen erschien nun als Fehlen einer Information, die auf die vernunftdiktierte Herkunft der Sendung verwies. Und wenn gerade dies zusätzliche Information war? Was mochte sie bedeuten? Daß »Anfang« und »Ende« bei der Mitteilung keine Rolle spielten. Daß man mit dem Lesen an jeder beliebigen Stelle beginnen konnte.
    Diese Vorstellung faszinierte mich. Ich begriff jetzt gut, weshalb meine Freunde ihre Zunge so gehütet hatten, auf daß ich nichts über die Methoden erfuhr, mit denen sie den »Brief« angegangen waren. Ich war völlig unvoreingenommen, so, wie sie geplant hatten. Zugleich mußte ich, um es mal so zu sagen, den Kampf an zwei Fronten auf einmal aufnehmen: Zwar war der »Hauptgegner«, dessen Motive ich zu erraten suchte, der unbekannte Absender, gleichzeitig jedoch konnte ich nicht umhin, bei jeder Etappe meiner Überlegungen nicht auch daran zu denken, ob wohl die Mathematiker des Projekts den gleichen Weg gegangen waren. Über ihre Arbeit wußte ich nur das eine: daß sie kein endgültiges Resultat erbracht hatte, nicht nur weil sie den»Brief« nicht bis zu Ende entschlüsselt hatten, sondern weil sie sich auch nicht sicher waren, also nicht bewiesen hatten, daß der »Brief« zu der Informationskategorie »Sache und Prozeß« gehörte, wie sie postulierten.
    Nicht anders als meine Vorgänger war auch ich der Meinung, der Code sei allzu lakonisch. Er hätte schließlich auch mit einem Einleitungsteil versehen sein können, der durch einfache Relationen aufzeigte, wie man ihn zu lesen hatte. So erschien es wenigstens. Allein, die Lakonie eines Codes ist kein ihm eigenes objektives Merkmal, sondern hängt vom Wissensstand des Empfängers ab, genauer gesagt, vom Unterschied zwischen dem Wissen des Absenders und dem des Empfängers. Dieselbe Information wird der eine Empfänger als ausreichend empfinden und ein anderer als zu »lakonisch«. Jedes noch so einfache Objekt enthält potentiell eine unendliche Anzahl von Informationen. Wie wir eine empfangene Beschreibung auch spezifizieren mögen – sie wird immer für die einen zu genau und für die anderen zu fragmentarisch bleiben. Die Schwierigkeiten, auf die wir stießen, deuteten darauf hin, daß sich der Absender wahrscheinlich an Empfänger gewandt hatte, die zum gegebenen historischen Zeitpunkt weiter fortgeschritten waren als wir Menschen.
    Eine vom Gegenstand losgelöste Information ist nicht nur unvollständig. Sie stellt stets eine Art Verallgemeinerung dar. Sie bezeichnet niemals ganz präzise, worauf sie sich bezieht. Im

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