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Die Stimme des Herrn.

Die Stimme des Herrn.

Titel: Die Stimme des Herrn. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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Langzeitaufzeichnung betrachtet. Derlei Aufzeichnungen begegnet man höchstens in jeder neunten bis zehnten Forschungsarbeit. Man kann folglich mit vernünftiger Annäherung aussagen, daß die reale Chance, das Signal zu entdecken, etwa 1:30 bis 1:40 beträgt und daß die Entdeckung mit analoger Wahrscheinlichkeit auch außerhalb des Gebiets der Vereinigten Staaten wiederholt werden kann.«
    Ich habe diesen Text vollständig zitiert, weil auch sein zweiter Teil interessant ist. Die darin enthaltene statistische Berechnung mutet nicht sonderlich seriös an. Daß sie in den Text aufgenommen wurde, war von der ein wenig zynischen Politik der Projektleitung diktiert. Es ging darum, die Very Important Persons zu verunsichern – denn eine Chance von 1:30 erscheint ja im allgemeinen nicht astronomisch klein –, so daß sich die einflußreichen Personen, beunruhigt, vielleicht für die Erhöhung der dem Projekt bewilligten Mittel verwenden würden (die kostspieligste Investition neben den großen Rechenautomaten waren die Apparaturen für die automatische Chemosynthese).
    Um mit der Arbeit am »Brief« beginnen zu können, mußte ein Anfang gemacht werden, und das war eigentlich das Schlimmste. Die Tautologie obigen Satzes ist nur eine scheinbare. In der Geschichte hat es unzählige Denker gegeben, die der Meinung waren, man könne in der Erkenntnis wirklich von Null ausgehen und, nachdem man aus dem Intellekt ein unbeschriebenes Blatt gemacht habe, ihn mit der einzig nötigen Ordnung füllen. Diese Fiktion war der Motor für erstaunliche Anstrengungen. Dabei ist eine solche Operation doch undurchführbar. Es ist unmöglich, auch nur irgend etwas zu beginnen, ohne von bestimmten Prämissen auszugehen, wobei der Umstand, ob wir uns dieser Handlungsweise bewußt sind, ihre Realität nicht im mindesten schmälert. Diese Voraussetzungen liegen schon in der biologischen Konstitution des Menschen beschlossen und ebenso im Amalgam der Kultur, die als Bindeglied zwischen Organismen und Umwelt überhaupt erst möglich wird, weil die zum Überleben notwendigen Aktivitäten von der Umwelt nicht eindeutig festgelegt sind, sondern den Organismen ein schmaler Spielraum für eine freie Wahl bleibt, der jedoch genügend Platz für Tausende von möglichen Kulturen bietet.
    Bei Beginn der Arbeiten am »Sternencode« galt es die Ausgangsprämissen auf ein Mindestmaß zu reduzieren, aber ohne sie kam man nicht aus. Wenn sie falsch waren, mußte die Arbeit notwendigerweise für die Katz sein. Eine dieser Voraussetzungen war, daß es sich um einen Binärcode handelte. Sie entsprach im großen und ganzen dem aufgezeichneten Signal, doch daß es in eben der Gestalt auftrat, daran hatte auch die Aufzeichnungstechnik ihrenAnteil. Die Physiker gaben sich nicht mit dem Signal auf den Bändern zufrieden und untersuchten lange die Neutrinostrahlung selbst, die ja das »Original« war, während die Aufzeichnung nur sein Abbild darstellte. Schließlich entschieden sie, man könne den Code mit »vernünftiger Annäherung« als binär betrachten. In dieser Erklärung lag eine Apodiktik, die nicht zu vermeiden gewesen war. Das nächste Problem war herauszufinden, zu welcher Kategorie von Signalen der »Brief« gehörte.
    Nach unseren Kenntnissen konnte er entweder in einer Berichtssprache »abgefaßt« sein, die der unseren ähnelte und mit semantischen Einheiten operierte, oder ein System von »modellierenden« Signalen darstellen – in der Art des Fernsehens – oder schließlich ein »Produktionsrezept«, mit anderen Worten einen Katalog von Operationen, die zur Herstellung eines bestimmten Objekts erforderlich sind. Schließlich konnte der Brief die Beschreibung eines solchen Objekts, also einer bestimmten »Sache«, in einem »kulturfreien« Code enthalten, das heißt in einem Code, der sich ausschließlich auf bestimmte physikalisch nachweisbare Invarianten der natürlichen Welt, also auf Invarianten mathematischer Art bezieht. Diese vier möglichen Codekategorien bestehen nicht vollständig getrennt voneinander. Das Fernsehbild entsteht, indem dreidimensionale Phänomene auf eine Fläche projiziert werden, mit einer zeitlichen Selektivität, die den physiologischen Vorgängen im menschlichen Auge und Gehirn entspricht. Was wir auf dem Bildschirm sehen, ist für Organismen, die in ihrer evolutionären Entwicklung durchaus fortgeschritten sind, nicht erkennbar, zum Beispiel erkennt ein Hund auf dem Fernsehschirm (und auf einer Fotografie) nicht einen

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