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Die Stimme des Herrn.

Die Stimme des Herrn.

Titel: Die Stimme des Herrn. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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in die Lage eines Globalstrategen versetzte, aber die Berechnung machte jede Suche in dieser Richtung zunichte. Ich arbeitete flott, aber ich spürte, daß mir die Finger zitterten, und als ich mich über die Bänder beugte, die dem Computer entkrochen, um die Ergebnisse abzulesen, hämmerte mein Herz wie wild. Zugleich empfand ich eine brennende Trockenheit im Mund und hatte eine Kolik, als schnüre mir jemand mit einem Strick die Eingeweide zusammen. Diese Anzeichen einer visceralen Panik des Organismus konstatierte ich mit eigentümlich kühler Ironie, als teiltesich die Angst lediglich meinen Muskeln und Därmen mit, während mich im Innern ein lautloses Kichern schüttelte, das gleiche wie ein halbes Jahrhundert zuvor, unverändert und nicht gealtert. Ich spürte weder Hunger noch Durst, gefüttert und getränkt mit Zahlenreihen, fast fünf Stunden lang, in denen ich den Computer wieder und wieder von vorn programmiert hatte. Ich riß die Bänder aus den Kassetten, zerknüllte sie und stopfte sie mir in die Tasche. Am Ende war die Arbeit unergiebig geworden.
    Ich fürchtete, ich würde, wenn ich ins Hotel ginge, beim Anblick der Speisekarte oder des Gesichts des Kellners in Gelächter ausbrechen. Auch zu mir konnte ich nicht zurück. Doch irgendwohin mußte ich. Donald war mit seiner Arbeit befaßt und, wenigstens vorübergehend, besser dran. Ich trat auf die Straße wie ein mit Kohlengas Vergifteter. Die Dämmerung brach herein, die Siedlung, im Quecksilberglanz der Lampen schwimmend, schnitt sich als glitzernde Kontur in die Finsternis der Wüste, und nur an den schlechter beleuchteten Punkten waren am dunklen Himmel die Sterne zu erkennen. Noch ein Verrat mehr fiel nun nicht mehr ins Gewicht, ich brach also mein Donald gegebenes Versprechen und ging zu meinem Hotelnachbarn, zu Rappaport. Ich legte die zerknüllten Bänder vor ihn hin und erzählte ihm kurzerhand alles. Er erwies sich als der richtige Mann. Er stellte mir nur drei, vier Fragen, die davon zeugten, daß er auf Anhieb Bedeutung und Konsequenzen der Entdeckung erfaßt hatte. Unsere geheime Verschwörung erstaunte ihn überhaupt nicht. Er nahm nicht Notiz davon.
    Ich erinnere mich nicht, was er sagte, als er die Bänder weglegte, aber aus seinen Worten ging hervor, daß er etwas in der Art beinahe von Anfang an erwartet hatte. Die Furcht hatte ihn beständig verfolgt, und jetzt, da die Befürchtungen eingetroffen waren, bereitete ihm der intellektuelle Triumph oder vielleicht auch einfach das Bewußtsein, daß es nun vorbei war, eine gewisse Erleichterung. Ich war wohl schwerer angeschlagen, als ich glaubte, weil er sich zuerst um mich und nicht um das Ende der Menschheit kümmerte. Er hatte von seiner Flucht durch Europa eine bestimmte Angewohnheit zurückbehalten, die ich für lächerlich hielt: Er verfuhr nach dem Grundsatz »omnia mea mecum porto«, als sei er instinktiv darauf gefaßt, neuerlich fliehen zu müssen – jeden Augenblick. So erklärte ich mir den Umstand, daß er in seinen Koffern eine Art »eiserner Ration« aufbewahrte, inklusive Kaffeemaschine, Zucker und Zwieback. Auch eine Flasche Kognak fand sich an, das eine wie das andere kam uns sehr zupasse. Es begann das, was damals keinen Namen hatte und was uns später als Leichenschmaus oder vielmehr als dessen angelsächsische Variante – als rituelle Totenwache (»wake«) in Erinnerung bleiben sollte. Zwar war der Tote, um den es ging, vorerst noch am Leben und ahnte nicht einmal, daß er bald unweigerlich zu Grabe getragen werden würde.
    Wir tranken Kaffee und Kognak, umgeben von einer Stille, als befänden wir uns an einem unbewohnten Ort, als wäre schon eingetreten, was eintreten mußte. Wir verstanden einander im Handumdrehen und entwarfen zunächst in abgerissenen Sätzen den Verlauf der heraufziehenden Ereignisse. Wir waren einmütige Szenaristen: Alle Mittel würden für den Bau der »Trex«-Apparaturen eingesetzt werden. Leute wie wir würden das Tageslicht nicht mehr erblicken.
    Für ihren baldigen Untergang würden sich die Stabsangehörigen zuerst an uns rächen, sicherlich unbewußt. Sie würden nicht auf den Rücken fallen und die Pfötchen heben; da rationale Schritte nicht möglich wären, würden sie zu irrationalen Zuflucht nehmen. Da weder Gebirgsmassive noch kilometerdicker Stahl Schutz vor dem Angriff boten, würden sie in der Geheimhaltung den ultimativen Schutzpanzer erblicken. Die Stäbe würden sich vermehren, verteilen und in die Erde hinabsteigen,

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