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Die Stimme des Herrn.

Die Stimme des Herrn.

Titel: Die Stimme des Herrn. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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zwei Glasplatten, und sobald die feine Schicht monomolekular wurde, kam die Zerfallsreaktion auf der gesamten Oberfläche in Gang, wobei bei größeren »Dosen« die Apparatur – das alte, frühere Modell – zerstört wurde. Doch irgendwie fiel das niemandem auf: Im Labor herrschte so ein Geknalle und Geknatter, als sei es eine Anlage, wo Explosionsstoffe getestet wurden. Als ich Donald fragte, erklärte er mir ohne die Andeutung eines Lächelns, seine Leute untersuchten die Ausbreitung ballistischer Wellen im »Froschlaich« – das war das Thema, das er sich für sie ausgedacht hatte, und mit dieser Kanonade tarnte er erfolgreich sein eigenes Sinnen und Trachten!
    Unterdessen zerrann mir die Theorie unter den Fingern – ich wußte, daß es sie eigentlich schon längst nicht mehr gab, ich hatte es mir nur nicht eingestehen wollen. Die Arbeit an ihr verlangte mir viel ab, und sie war um so schwieriger, als ich nicht mit dem Herzen dabei war. Wie es manchmal so geht: Die Worte, die ich McMahon gegenüber geäußert hatte, hatten mich verhext. Mitunter sind uns unsere Befürchtungen so lange nicht vollständig gegenwärtig, gleichsam nicht schädlich, so lange wir sie nicht deutlich ausgesprochen haben. Genau das war mir widerfahren. Der »Froschlaich« erschien mir nun unwiderruflich als ein Artefakt, als das Ergebnis einer falschen Entschlüsselung des Codes. Ich sah das so: Die Absender hatten bestimmt nicht beabsichtigt, uns eine Büchse der Pandora zu schicken, aber wir hatten wie die Einbrecher ihre Schlösser beschädigt, hatten dem erbeuteten Inhalt all das aufgeprägt, was das Eigennützige, das Räuberische der irdischen Wissenschaft ausmachte, denn die Atomphysik hatte ja auch – so dachte ich – gerade dort Erfolg gehabt, wo sich die Chance bot, die destruktivste Art von Energie zu gewinnen.
    Deshalb hinkte die Kernenergiegewinnung immer noch hinter der Produktion von Bomben hinterher, daher gab es Wasserstoffladungen, aber noch immer keine Wasserstoffreaktoren, die ganze Mikrowelt zeigte dem Menschen ihr durch das besagte einseitige Herangehen entstelltes Inneres, deshalb wußten wir über die starke Wechselwirkung weit mehr als über die schwache. Ich diskutierte darüber mit Donald – er pflichtete mir nicht bei, weil er fand, daß, wenn überhaupt jemanden die »Schuld« für die »Einseitigkeit der Physik« träfe – aber er bestritt auch diese Einseitigkeit –, dann nicht uns, sondern die Welt, aufgrund ihrer Struktur. Denn zerstören sei ganz einfach in jedem objektiven Sinne leichter – nach der Regel der geringsten Wirkung zum Beispiel, als etwas schaffen, denn die Destruktion stimme in ihrem Gradienten mit der Hauptrichtung der im ganzen Kosmos ablaufenden Prozesse überein, die Schöpfung hingegen müsse immer gegen den Strom schwimmen.
    Ich erinnerte ihn an den Prometheus-Mythos. In seinem Bild sollen, wie in einer Quelle, die anerkennenswerten, ja ehrenwerten Tendenzen der Wissenschaft zusammenfließen, aber dieser Mythos lobpreist nicht das uneigennützige Verstehen, sondern das Entreißen, nicht das Erkennen, sondern das Beherrschen – dies sind die Fundamente der gesamten Empirie. Er erwiderte mir, mit derlei Unterstellungen würde ich einen Freudianer erfreuen, da ich die Motive des Erkennens auf Aggression und Sadismus zurückführe. Ich sehe jetzt, daß ich tatsächlich ein bißchen den Verstand – nämlich die Besonnenheit, die kühle Überlegung – verloren hatte, die dem Grundsatz entspringt, sine ira et studio zu handeln, und mit meinen Spekulationen die »Schuld« von den unbekannten Absendern auf die Menschen übertragen hatte – ich, der ewige Misanthrop.
    Anfang November wurde die Apparatur in Betrieb genommen, doch die ersten, im kleinen Rahmen aufgenommenen Versuche mißlangen: Die Detonation trat mehrfach mit einer solchen Streuung auf, daß sie erst jenseits der Hauptabschirmungsmauer stattfand, und obwohl sie gering war, die Strahlung immerhin auf 60 Röntgen emporschnellte. Wir mußten rund um die Abschirmung eine zweite, äußere Schutzhülle errichten. Eine so massive Hülle ließ sich nicht mehr verbergen, und so kreuzte denn Eeney, der sich bisher nie in die physikalischen Labors verirrt hatte, ein paarmal bei Donald auf, und daß er keine Fragen stellte, sich nur alles ansah und herumscharwenzelte, verhieß auch nichts Gutes. Schließlich expedierte ihn Donald zur Tür hinaus, weil er die Leute bei der Arbeit störe. Ich tadelte ihn für diesen Schritt, er

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