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Die Stimme des Herrn.

Die Stimme des Herrn.

Titel: Die Stimme des Herrn. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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erstenmal seit meiner Ankunft beim Projekt, mir ein Fernsehprogramm anzusehen, aber es erschien mir alles unsäglich verlogen und sinnentstellt, die Tagesschauen inbegriffen. Ich begab mich an die Bar, doch auch dort wurde ich nicht alt. Da ich nicht wußte, was ich mit mir anfangen sollte, ging ich schließlich ins Computerzentrum, schloß mich sorgfältig ein und begann mit Berechnungen, die niemand mehr von mir verlangte.
    Ich operierte zum zweitenmal mit der, wenn man so will, besudelten Einstein-Formel über die Äquivalenz von Masse und Energie. Ich überschlug die erforderliche Leistung für die Inversoren und Transmitter für eine Explosion auf eine Entfernung, die dem Durchmesser des Erdballs gleichkam, die kleinen technischen Schwierigkeiten, die dabei auftraten, nahmen mich in Anspruch, aber nicht für lange. Ein mit Hilfe des »Trex«-Effekts gestarteter Angriff schloß jegliche Vorwarnung aus. In einem bestimmten Moment würde sich der Boden unter den Füßen der Menschen ganz einfach in Sonnenlava verwandeln. Die Explosion ließ sich nicht nur auf der Erdoberfläche, sondern auch darunter auslösen, und zwar in beliebiger Tiefe. Auf die Weise verloren die stählernen Schutzschilde und dasgesamte Massiv der Rocky Mountains, die die Stäbe in ihren großen unterirdischen Bunkern hatten schützen sollen, jede Bedeutung. Ja, es bestand nicht einmal die Hoffnung, daß die Generäle, die wertvollsten Menschen unserer Gesellschaft, wenn man den Wert einer Person an den Mitteln mißt, die in den Schutz ihrer Gesundheit und ihres Lebens investiert werden, als die letzten Menschen daraus hervorkrochen auf die radioaktiv verbrannte Erdoberfläche, um, nachdem sie die vorübergehend nicht benötigten Uniformen ausgezogen hatten, daranzugehen, die Zivilisation von Grund auf wiederaufzubauen. Der letzte Bettler in den Slums war jetzt ebenso gefährdet wie der Oberbefehlshaber der nuklearen Streitkräfte.
    Ich hatte eine wahrhaft demokratische Gleichstellung aller Lebewesen auf diesem Planeten vollbracht. Die Maschine wärmte mir die Fußsohlen durch den sanften Wärmehauch, der durch die Ritzen der Metalljalousie drang, und arbeitete, indem sie Zahlenreihen auf die Bänder tippte, denn ihr war es einerlei, ob die sich auf Gigatonnen und Megaleichen oder auf die Zahl der Sandkörner an den Stränden des Atlantik bezogen. Die Verzweiflung der letzten Wochen, die allmählich in einen lastenden Druck übergegangen war, wich mit einem Schlag. Ich arbeitete zügig und voller Genugtuung. Ich handelte nicht mehr mir selbst zuwider, gewiß, ich tat, was man von mir erwartete. Ich war ein Patriot. Ich versetzte mich bald in die Lage des Angreifers, bald in die des Verteidigers, völlig loyal.
    Für das Problem jedoch gab es keine Gewinnstrategie. Wenn sich der Explosionsherd an einen beliebig gewählten Punkt des Erdballs übertragen ließ – von einem ausgewählten, ebenfalls beliebig gewählten Ort aus, konnte man auf einem Gebiet von beliebiger Größe das Leben vernichten. Die klassische Atomexplosion ist in energetischer Hinsicht eine Vergeudung von Mitteln, weil im Punkte Null das »overkill« eintritt. Die Teilchen der Gebäude und Körpersind dabei einer Zertrümmerung unterworfen, die die militärische Notwendigkeit tausendfach übersteigt, während die mit der Entfernung abnehmende Zerstörungskraft das Überleben in einem ziemlich einfachen Bunker bereits ein Dutzend oder mehrere Dutzend Meilen weiter möglich macht.
    Dieses unökonomische Verhältnis wurde unter meinen Fingern, wie ich da den Computer programmierte, zur prähistorischen Mumie. Der »Trex« war dank seiner Sparsamkeit ein vortreffliches Mittel. Man konnte die Feuerkugeln der klassischen Explosionen platt drücken, sie sozusagen zu einer todbringenden Folie breit walzen und der Menschheit im Raum von Asien oder der Vereinigten Staaten unter die Füße breiten. Eine dreidimensional in geringem Abstand von der geologischen Hülle der Kontinente lokalisierte dünne Schicht konnte im Bruchteil von Sekunden zum feurigen Morast werden. Auf jeden Menschen kam gerade so viel Energie, wie für seinen Tod notwendig war. Doch den sterbenden Stäben blieben noch Zehntelsekunden, um ein Signal an die Unterseeboote mit den Kernraketen zu richten. Der Sterbende konnte noch den Gegner töten, und falls er konnte, dann mußte er so handeln. Die Tür der technologischen Falle war also endlich ins Schloß gefallen.
    Ich suchte weiter nach einem Ausweg, indem ich mich

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