Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Stimme des Herrn.

Die Stimme des Herrn.

Titel: Die Stimme des Herrn. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
Vom Netzwerk:
sagte, man müsse ein anthropologisches ›crash program‹ in Gang setzen, Maschinen zur Modellierung von sozioevolutionären Prozessen bauen, für das Geld, das für die Erforschung von Raketen und Gegenraketen bereitgestellt wird, lächelten sie nur und zuckten die Achseln. Niemand nahm es ernst, und ich kann allenfalls eine bittere Schadenfreude empfinden, daß ich recht hatte. Man hätte zuerst den Menschen erforschen müssen, das mußte vor allem den Vorrang haben. Wir haben ihn nicht erforscht, was wir über ihn wissen, genügt nicht, gestehen wir es uns doch endlich ein, daß es so ist. Ignoramus et ignorabimus, weil wir keine Zeit mehr haben.«
    Der wackere Rappaport versuchte nicht mehr, mir etwas zu erwidern. Er brachte mich, betrunken wie ich war, auf mein Zimmer.
    Bevor wir uns trennten, sagte er: »Machen Sie sich mal keine unnötigen Sorgen, Herr Hogarth. Ohne Sie wäre alles genauso schiefgegangen.«

XIV
    Donald hatte für die Versuche von vornherein eine ganze Woche eingeplant, je vier Stunden täglich. Das war das höchste, was die provisorisch zusammengebaute Apparatur hergab. Nach jedem Versuch wurde sie teilweise zerstört und mußte erst wieder repariert werden. Das ging langsam, weil sie in Schutzanzügen arbeiten mußten, mit radioaktiv verseuchtem Material. Wir starteten nach dem »Leichenschmaus«, das heißt eigentlich er, ich war nur Augenzeuge. Wir wußten inzwischen, daß die Leute vom »Ghost Voice« oder Gegenprojekt in acht Tagen eintreffen würden. Donald hatte vorgehabt, am frühen Morgen zu beginnen, weil er wollte, daß seine Leute, mit der Scheinuntersuchung beschäftigt, die er ihnen aufgenötigt hatte, den unvermeidlichen Explosionslärm durch ihre Kanonade übertönten, aber da er schon am späten Abend mit allem fertig war – also zu der Zeit, als ich im Computerzentrum unzählige Varianten des Weltendes durchprobierte –, hatte er es eilig.
    Im Grunde genommen war es schon ganz einerlei, wann Eeney, und nach ihm unsere großen Protektoren, alles erfahren würden. Ich war, nachdem Rappaport gegangen war, in einen schweren Schlaf gefallen und schreckte ein paarmal daraus hoch, weil ich krachende Detonationen zu hören meinte, aber ich hatte es mir nur eingebildet. Der Beton der Gebäude war seinerzeit nicht nur für solche Explosionen berechnet worden. Um vier Uhr morgens hievte ich, mit einem Gefühl, wie es Lazarus gehabt haben muß, meine schmerzenden Knochen aus dem Bett und entschloß mich, da es mich nicht länger im Hotel hielt, die restlichen »konspirativen« Bedenken über Bord zu werfen und ins Labor zu gehen. Wir hatten nichts verabredet, aber ich mochte nicht glauben, daß sich Prothero, sobald er alles fertig hatte, seelenruhig hinlegen würde. Ich hatte mich nicht getäuscht: Auch seine nervliche Strapazierbarkeit hatte Grenzen.
    Ich spritzte mir kaltes Wasser ins Gesicht und ging los. Hinter Eeneys Tür am Gangende bemerkte ich Licht und trat unwillkürlich leiser auf. Als mir die Unsinnigkeit meines Tuns bewußt wurde, rannte ich mit schiefem Lächeln, das mir die gleichsam steif gegerbte Haut meines Gesichts (so fremd erschien es mir) breit zog, die Treppe hinunter, ohne den Fahrstuhl zu rufen.
    Niemals hatte ich das Hotel bisher um diese Zeit verlassen. Im Parterre waren die Lichter gelöscht, ich stieß gegen die auseinandergerückten Sessel, es war Vollmond, doch der Betonklotz vor dem Eingang ließ kein Licht herein. Dafür wirkte die Straße unheimlich, vielleicht kam es mir auch nur so vor. Auf dem Verwaltungsgebäude brannten die rubinroten Warnlichter für die Flugzeuge, aber sonst nur wenige Lampen an den Kreuzungen. Das Gebäude der Physiker lag dunkel und wie ausgestorben. Im Lauf legte ich den Weg zurück, den ich auswendig kannte, und gelangte durch die angelehnte Tür in die Haupthalle. Ich wußte sofort, daß schon alles vorbei war, denn die Alarmzeichen, die während der Arbeit der Inversoren rot brannten, waren gelöscht. Es herrschte vages Halbdämmer, der riesige Inversorring ließ die Halle dem Maschinenraum einer Fabrik oder eines Schiffes ähnlich werden. An den Steuerpulten blinkten noch die Signallämpchen, aber vor der Kammer traf ich niemanden. Ich wußte, wo ich Donald zu suchen hatte. Durch einen schmalen Gang zwischen den Wicklungen der tonnenschweren Elektromagnete gelangte ich in einen kleinen Innenraum. Dort befand sich eine Art winziges Zimmer, ein Kabäuschen, in welchem Prothero sämtliche Protokolle, Filme und Notizen

Weitere Kostenlose Bücher