Die Stimme des Herrn.
Freudianertum« vor. Als Sprößling einer puritanischen Familie, sagte er, projiziere ich meine eigenen Vorurteile auf die Welt. Ich hätte mich im Grunde genommen noch nicht davon freigemacht, alles nach den Kategorien von Sünde und Erlösung zu betrachten. Da ich die Erdenbewohner restlos für Gefallene halte, übertrüge ich die Erlösung auf die Galaxis. Mein Bannfluch stürze die Menschen in die Hölle, er taste jedoch die Absender nicht an, die blieben vollkommen gut und unschuldig. Und das eben sei mein Irrtum. Wenn man an sie dächte, müßte man zuerst einmal den Begriff der »Solidaritätsschwelle« einführen. Jeder Gedanke bewege sich auf immer universellere Generalisierungen hin. Er tue das folgerichtig, weil der Kosmos dieses Vorgehen billige: Wer auf richtige Weise generalisiert, wird die Erscheinungen in immer größerem Umfange beherrschen.
Das Evolutionsbewußtsein, mit anderen Worten die Einsicht, daß der Geist aus Prozessen einer homöostatischen »Kraxeltour« gegen den Strom der Entropie entspringt, macht es möglich, gegenüber dem Evolutionsbaum, der das vernunftbegabte Wesen hervorgebracht hat, Solidarität zu üben. Aber die Solidarität kann nicht den ganzen Evolutionsbaum einschließen, weil sich das »höhere« Wesen unbedingt von den »niederen« ernähren muß. Irgendwo muß die Grenze der Solidarität gezogen werden. Auf der Erde hat sie nie jemand unterhalb jener Weggabelung angesetzt, an der sich die Pflanzen von den Tieren scheiden. In der instrumentalen Praxis kann man übrigens zum Beispiel die Insekten nicht als in diese Solidarität einbezogen betrachten. Wenn wir wüßten, daß die Kommunikation mit dem All aus irgendwelchen Gründen die Vernichtung der irdischen Ameisen erforderlich machte, befanden wir sicherlich, daß es »sich lohne«, die Ameisenzu opfern. Und so können auch wir, auf unserer Entwicklungsstufe, für jemanden Ameisen sein. Die Solidarität muß sich vom Standpunkt jener Wesen aus nicht unbedingt auf solche planetarischen Kriechtiere erstrecken, wie wir es sind. Und vielleicht verfügen sie über Rechtfertigungen dafür. Vielleicht wissen sie, daß nach der galaktischen Statistik der irdische Typ des Psychozoikums von vornherein der Technoevolution auf Gedeih und Verderb ausgeliefert ist, so daß es nichts Verwerfliches ist, unsere Existenz zusätzlich zu bedrohen, da doch ohnehin »höchstwahrscheinlich nichts aus uns wird«.
Ich gebe hier den Inhalt des Gesprächs vor dem Experiment wieder und nicht den chronologischen Verlauf jener »Nachtwache«, denn so genau erinnere ich mich nun auch nicht mehr daran, und ich weiß nicht, wann Rappaport mir eines von seinen Erlebnissen in Europa erzählte, jenes, das ich schon früher angeführt habe. Es war wohl, als wir die Geschichte mit den Generälen schon abgeschlossen, aber noch nicht begonnen hatten, nach den Triebfedern des bevorstehenden Epilogs zu suchen. Nun sagte ich ungefähr folgendes zu ihm: »Doktor Rappaport, Sie sind noch unverbesserlicher als ich. Sie machen aus den Absendern eine ›höhere Rasse‹, die sich nur mit ›höheren Formen‹ der Galaxis solidarisiert. Wozu versuchen sie aber dann die Biogenese zu verbreiten? Wozu sollten sie Leben ausstreuen, wenn sie eine Expansions- und Kolonisationspolitik gegenüber den Planeten betreiben könnten? Wir sind einfach beide nicht imstande, in unserem Denken über die Begriffe hinauszugehen, die uns vertraut sind. Vielleicht haben Sie recht damit, daß ich die Ursachen unseres Scheiterns deshalb auf der Erde ansetze, weil ich als Kind so erzogen worden bin. Mit der Einschränkung, daß ich statt der ›menschlichen Schuld‹ einen stochastischen Prozeß sehe, der uns in eine Sackgasse getrieben hat. Sie, der aus einem Land von Ermordeten Entkommene, haben angesichts der Vernichtung Ihre eigene Schuldlosigkeit immer zu stark empfunden, und darum siedeln Sie die Quellen unserer Niederlage anderswo an: in der Umwelt der Absender. Nicht wir haben allein darüber entschieden – sie haben es für uns getan. So endet jeder Versuch der Transzendenz. Wir brauchen Zeit, die wir nicht mehr haben werden.
Ich habe immer gesagt, daß wir uns, wenn sich eine Regierung fände, die vernünftig genug wäre, die gesamte Menschheit aus dieser Fallgrube ziehen zu wollen und nicht nur die eigenen Leute, vielleicht doch noch herausrappeln würden. Aber die Mittel des Bundeshaushalts standen immer nur für den Erforscher neuer Waffen bereit. Als ich den Politikern
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