Die Stimme des Wirbelwinds
den Klettverschluß zu, dann warf er sich die Jacke über den Arm und ging einen Waschraum suchen.
Das Gebäude war fast leer, und die Beleuchtung war gedämpft. Es mußte bereits die dritte Schicht sein. Er fand eine Toilette, ging hinein und starrte sich im Spiegel an.
Seine Augen waren in purpurrote Höhlen eingesunken. Der kreisrunde Abdruck der Interface-Leitung und ihrer Klebescheibe zeichnete sich deutlich hinter seinem Ohr ab. In seinen Achselhöhlen und auf seiner Brust waren Schweißflecken. Er wusch sich das Gesicht, fuhr sich mit den Fingern durch die Haare und nahm noch eine Pille, damit er den Rückweg zur Born heil überstand. Er zog sich vorsichtig die Jacke an, damit sie nicht zu sehr an seine Brandwunden kam, ging hinaus und lenkte seine Schritte zur Eingangshalle. Er bemühte sich um einen hüpfenden Gang, als ob er die niedrige Schwerkraft genießen würde.
Der alte Wachmann war durch einen jüngeren ersetzt worden. Der Cop nickte ihm zu, als er die Eingangshalle betrat. »Schwer geschuftet?« fragte er.
Steward schenkte ihm ein müdes Grinsen. »Inventur«, sagte er. Er ging zur durchsichtigen Plastiktür und gab ihr einen Stoß. Sie wollte nicht aufgehen. Ein Warnsignal zerrte an seinen Nerven.
Er sah den Wachmann an, der an seinem Gürtel herumfummelte. »Ich muß aufschließen«, sagte er.
Das Warnsignal erlosch. Der Wachmann sperrte die Tür auf, und Steward trat in den Tunnel hinaus. Er sagte gute Nacht und unterdrückte den Drang, laut aufzulachen.
Als er später an einem Abfallbehälter vorbeikam, nahm er Angels Stachel, stellte die Nadelspitze auf den Metallboden und brach ihn mit seinem Fuß in zwei Teile. Er warf die Überreste in den Müll. Angel würde ihn am nächsten Tag vermissen, und danach würde es viel zu gefährlich sein, ihn zu besitzen. Pulsars Software würde geändert werden und nach jedem Ausschau halten, der ihn benutzte.
Die Stacheln würden in einem der Laderäume versteckt werden, die bereits mit Frachtgut gefüllt waren. Er hatte nicht vor, sie anzurühren, bis er Vesta verlassen hatte.
Er würde nicht mehr von Bord des Schiffes gehen. Nicht, bis es irgendwo angelegt hatte, wo Angel ihn nicht kriegen konnte.
10
Es war vier Tage her, daß Pulsar ihn hatte laufen lassen. Steward lag auf seinem Bett und sah sich im Fernsehen Kawaguchis Viertes Jahrtausend an. Das war ein klassisches, visionäres Imagistendrama aus dem letzten Jahrhundert, das in einer kultivierten Zukunft spielte, in der eine genetisch veränderte posthumane Gesellschaft mit der Rückkehr gewalttätiger, primitiver Menschen von einer vergessenen Raumkolonie konfrontiert wurde, eine mit beißender Ironie und erschreckender Gewalt durchsetzte Sittenkomödie. Die NeoImagisten-Polikorp Pink Blossom hatte kürzlich eine neu bearbeitete Version mit dem Freifall-Kabuki-Schauspieler Kataoka XXII. in der Hauptrolle produziert, die als politische Propaganda für ihr Bild der Zukunft gedacht war. Hellere Sonnen, eine nichtideologische Polikorp, sendete sie auf der Speiseschaltung von Vesta. Der Film gefiel Steward, aber er hatte den leisen Verdacht, daß die Interpretation unter dem Diktat zeitgenössischer politischer Realitäten ein bißchen zum posthumanen Standpunkt tendierte. Pink Blossoms Wachstumsrate sank, und die Polikorp war vielleicht zu dem Schluß gekommen, daß ihre Vision von Morgen ein bißchen aufpoliert werden mußte, um die Fußtruppen für ihre Arbeit zu begeistern.
Steward bewegte die Finger seiner rechten Hand, während er sich den Film ansah. Sie fühlte sich schon fast wieder normal an. Kein dauerhafter Schaden, dachte er.
Es klopfte kurz an Stewards Tür. »Herein!« rief er und schaltete rasch sein Video auf Aufnahme. Reese trat ein.
Ihr Stirnrunzeln zeigte Verärgerung. »Raus aus den Federn, Kumpel!« sagte sie. »Wir haben Befehl, in einer Stunde auf Vesta zu erscheinen. Wir gehen in den Sektor der Mächte-Delegation.«
Steward setzte sich auf. In seinem Geist begannen Alarmglocken zu klingeln. »Warum?« fragte er.
»Ein Starbright-Schiff liegt im Dock«, sagte Reese. »Die Ladearbeiter sind krank geworden, und ein paar Autolader sind kaputtgegangen. Es ist Spezialfracht, und die Starbright-Leute wollen nicht, daß sich jemand anders als unsere Angestellten damit befassen. Wir haben Befehl, das Zeug per Hand verladen zu helfen.«
»Warum gerade wir?«
»Wegen der Blutproben, die wir abgeben mußten. Die Tests haben ergeben, daß wir mit den Mächten
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