Die Stimme des Wirbelwinds
ausgewogene Verhältnis zu verstehen.
Pulsar war eine Einheit, in der von Natur aus eine hochgradige institutionelle Paranoia herrschte. Deshalb war FILESECUR wahrscheinlich mit Fallen ausgestattet, Absturzprogrammen, die entweder seine Nachforschungen beenden oder in aller Stille jemand in der Pulsar-Hierarchie benachrichtigen würden, daß jemand an ihren Dateien herumpfuschte; das würde es ihnen erlauben, Steward auf die Spur zu kommen. Aber die Fallen konnten nicht allzu kompliziert sein, sonst würde Angel selber Schwierigkeiten haben, an die Dateien heranzukommen.
Ausgewogenheit, dachte Steward. Sicherheit gegen Bequemlichkeit. Wie gut war FILESECUR geschützt?
Sorgfältig stöberte Steward die C-Matrix-Programmierung durch. Symbolblöcke formten sich in seinem Gehirn. Viele davon waren scheinbar Kauderwelsch. Er orientierte sich in dem Programm, so gut er konnte, und verfolgte jede Programmzeile, die in PULSAR* hinein- oder herausführte. Er war dazu ausgebildet, einiges von dem zu erkennen, was er sah, zum Beispiel die Wenn/Dann-Statements, die eine Falle bildeten. Jedesmal wenn er auf ein solches Statement stieß, modifizierte er es, damit es sein Paßwort ANGEL akzeptierte. Er hoffte, das würde dem Colonel vielleicht einigen Ärger einbringen, wenn sein Eindringen entdeckt wurde.
Seine diversen Hintertürchen würden nicht lange vorhalten. Eine Gruppe wie Pulsar würde irgendwo eine Kopie ihres Sicherheitsprogramms für den C-Matrix-Kern gespeichert haben und sie hin und wieder – alle paar Tage oder vielleicht in jeder Schicht – mit dem Arbeitsprogramm vergleichen, um festzustellen, ob es irgendwelche Diskrepanzen gab. Dann würde man Stewards Modifikationen löschen und irgendwen in Alarmbereitschaft versetzen.
Er arbeitete bedachtsam, in einer Trance der Konzentration. Als er zu sich kam, stellte er fest, daß er zwei Stunden in der Matrix verbracht hatte und in der Kabine auf und ab marschiert war, soweit es die Interface-Leitung zuließ. Der Raum roch nach Schweiß. Seine Waden taten ihm weh. Er streckte die Beine, zog seine Jacke aus und drapierte sie über die Stuhllehne. Er setzte sich wieder hin und steckte einen seiner leeren Datenstachel ins Terminal.
Er wischte sich Schweiß von der Stirn, ging aus der C-Matrix und kehrte zur Login-Routine zurück. Er gab sein Paßwort ANGEL ein und forderte Zugang zu FILESECUR:STEWARD.1. Als der C-71 ihm die Datei gab, lachte er laut auf. Er machte sich nicht die Mühe, sie anzuschauen, sondern speicherte sie nur auf dem Datenstachel. Er verlangte ein Inhaltsverzeichnis von FILESECUR und fand die Dateien DEPREY.1, CURZON.AC.1 UND CURZON.CD.1, die er ebenfalls auf den Stachel kopierte. Es gab keine Eintragung auf PREMIER. Er fand ANGEL.1 und überspielte sie.
Steward ging das Inhaltsverzeichnis noch einmal durch. FILESECUR:PERSONAL.1, -2. und -3. schienen interessant zu sein, also nahm er sie. Vielleicht Listen von Spionen, oder Dinge, die der Sicherheitsdienst als geheim eingestuft hatte. Sein Stachel signalisierte ihm, daß der variable Gitterfaden voll war. Er holte ihn heraus und steckte einen anderen ein.
Es gab Hunderte von Dateien. Er begann sie aufs Geratewohl zu kopieren, füllte seine Stachel und arbeitete sich weiter voran. Er dachte, er könnte das Zeug an Griffith verkaufen und es ihm überlassen, alles zu sortieren.
Als der letzte Stachel voll war, blieb er noch ein paar Minuten sitzen und starrte auf den schimmernden Monitor. Er überlegte, ob er seine Hintertürchen an Ort und Stelle lassen wollte, und entschied sich dann dagegen. Es würde zwar Spaß machen, sich die Panik vorzustellen, die Pulsar und besonders Angel ergreifen würde, wenn das Ausmaß seines Raubzugs bekannt wurde, aber die ganzen gestohlenen Daten würden viel wertvoller sein, wenn Hellere Sonnen nicht wußte, daß sie weg waren. Er ging noch einmal die C-Matrix-Programmierung durch und stellte den ursprünglichen Zustand wieder her. Dann lehnte er sich in seinen Stuhl zurück und zog die Interface-Leitung von seinem Schädel ab.
Die Wirklichkeit begann langsam mit seinem Geist zu verschmelzen. Seine Blase tat weh. Die Wirkung des Speed war weitgehend verflogen; nur ein Tatterich und das Gefühl, daß er eine Gänsehaut hatte, waren noch da. Sein Hals war verschleimt. Das Atmen schmerzte. Sein rechter Arm und die rechte Schulter waren völlig taub, und er machte sich wieder Gedanken über neurale Schäden. Er steckte die Stacheln in seine Jackentasche und machte
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