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Die Stimme

Titel: Die Stimme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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ging. Hatte sie nicht Glück, war es nicht herrlich, wenn man eine Küche voll guter Dinge zum Essen hatte! Was für ein schöner Anblick, wenn alle lebenden menschlichen Wesen im Haus runde, rosige Gesichter hatten und sie niemals ein Zupfen am Rock spüren und in ein Paar hungrige Augen blicken mußte!
    Jetzt fiel Margaret der süße, gewürzte Weizenbrei ein, den sie machen wollte, sobald der Weizen geplatzt war. Er gehörte zu den Lieblingsspeisen ihres Mannes und ihrer Mädchen. Schon malte sie sich aus, wie der würzige Duft aus dem Topf ihr ins Gesicht steigen würde, wenn sie den Brei umrührte. Master Kendall wollte einfach nicht begreifen, daß es einem schwerfallen kann, eine Arbeit anderen zu überlassen, auf die man sich wirklich gut versteht – und außerdem hatte sich die Köchin mittlerweile an ihre Macken gewöhnt. Und ihr Ale, das wußte er nun wirklich zu schätzen; niemand in der City verstand sich besser aufs Brauen, und alle lobten das Ale in Kendalls Haus.
    Und niemand backte besseres Brot als sie. Dazu gehörte schon etwas Begabung, sonst ging das Brot nicht luftig und hoch auf, und die hat eben nicht jede. Einmal war sie am Backtag Kendall entgegengelaufen, um ihn zu begrüßen, und hatte noch die große Schürze umgebunden gehabt und Mehl bis zu den Ellenbogen und einen weißen Fleck auf der Nase, und er hatte sich an ihrem Anblick gefreut und gelacht. »Wenn du wüßtest, wie hübsch du so aussiehst, kleines Püppchen, du würdest jeden Tag mit einem weißen Fleck herumlaufen und damit bei Hof eine neue Mode einführen«, hatte er gemeint, und sie hatte nicht gewußt, ob er Spaß machte oder nicht. So ist das mit den Männern, dachte sie. Alles, was sie sagen, läßt sich drei- oder vierfach deuten.
    Dann bemerkte Margaret, daß der Wasserbehälter in der Küche leer war und schickte die Küchenmagd hinaus, daß sie ihn auffüllte, sah nach, ob die Betten aufgeschüttelt und gelüftet waren, ob aus allen Feuerstellen die Asche ausgenommen, die Ecken gefegt und frischer Lavendel in die Wäschetruhen gelegt war. Hab ich ein Glück, hab ich ein Glück, dachte sie. Ich brauche nicht mehr selber Wasser zu holen. Sie war seit Tagesanbruch auf den Beinen und würde wahrscheinlich, mit Ausnahme der Mahlzeiten, vor Abend nicht zum Sitzen kommen. Sie ging auch immer als letzte zu Bett, denn zur Nacht läuft jede vernünftige Hausfrau von Zimmer zu Zimmer und überzeugt sich, daß alle Kerzen ausgeblasen und alle Feuer richtig abgedeckt sind. Wer so dumm war, sich vor dieser Arbeit zu drücken, lief Gefahr, eines Nachts einfach bei lebendigem Leib im Bett zu verbrennen. So geht es jetzt mit vielen Dingen, dachte sie. Ich muß sie nicht mehr selber machen, aber ich muß mich darum kümmern, daß sie richtig ausgeführt werden, und das ist eigentlich genauso viel Arbeit, nur eben anders.
    Das Beste an ihrem neuen Leben war aber der Unterricht. Dabei konnte sie sich hinsetzen und ihren Kopf gebrauchen, ein Luxus, den ihres Wissens keine andere Frau genoß. Alles hatte damit angefangen, daß Master Kendall sie eines Abends in umgänglicher Stimmung fragte, was sie sich wohl wünschte. Sie war müde gewesen, der Mann mit dem Holz war nicht gekommen, die Mädchen hatten sich an jenem Tag gezankt, und sie hätte gern gesagt: »Zeit«, oder »Zeit nur für mich, zum Nachdenken«. Aber sie wußte, die konnte er ihr nicht geben, und da sie ihn nicht enttäuschen wollte, sagte sie stattdessen etwas, das ihr just durch den Kopf schoß:
    »Ich möchte gern Französisch lernen, dann kann ich mich mit deinen Freunden unterhalten und du hättest mehr Freude an mir.«
    »Ich habe immer Freude an dir, mein Schatz«, hatte er geantwortet. »Aber die Idee ist gar nicht so schlecht, nein, gar nicht so schlecht.« Und er hatte die in Not geratene Wittib eines Ritters angestellt, die kam nun beinahe jeden Tag ins Haus und parlierte mit ihr und den Mädchen Französisch. Und mittlerweile nannte selbst die kleine Alison ihr Kleid schon robe de chambre .
    Das Beste von allem war jedoch ihr Buch. Darauf wäre sie im Traum nicht gekommen, wenn die Stimme nicht so gedrängelt hätte, und einer Stimme durfte man sich doch nicht verweigern, oder? Sie wußte nicht so recht, warum es so eine gute Idee war, und dabei war sie es wirklich. Dazu kam, daß ihr Buch das Einzige auf der weiten Welt war, das ihr ganz allein gehörte, nur ihr und niemand sonst. Und schön wurde es, all die vielen Seiten mit der säuberlichen, schwarzen

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