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Die Stimme

Titel: Die Stimme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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oder weniger vertauschbar waren. Bruder Gregorys Selbstzufriedenheit ließ sich daran ermessen, daß er nicht sofort eine bissige Bemerkung losließ, ein Vergnügen, für das Lion stets gut war.
    Heute kam zuerst der Leseunterricht. Bruder Gregory begann damit, daß er zunehmend schwierigere Sätze auf das Täfelchen schrieb, und wenn Margaret sie gelesen hatte, ließ er sie Sätze nach Diktat schreiben. Bruder Gregory nahm seine Arbeit ernst. Er verwendete nur Lektionen mit erbaulichem Inhalt, denn in seinen Augen gehörte die moralische Unterweisung zu jedem ordentlichen Unterricht, und Margaret hatte es seiner Meinung nach wirklich nötig. Jetzt sah er mit selbstgefälligem, vergnügten Lächeln zu, wie Margaret sich über ihre Arbeit beugte und die Stirn kraus zog, so sehr war sie bei der Sache. Heute mußte sie eine Stelle aus der Bibel schreiben, die er ihr vorgelesen hatte und die davon handelte, daß eine Frau, die ihrer Familie Tag und Nacht dient und niemals rastet, wertvoller ist als alle Edelsteine. Während sie die Buchstaben langsam auf dem Wachs formte, biß sie sich unbewußt auf die Unterlippe. Klar, sie bewunderte die erhabenen Empfindungen und verlangte sehr danach sich zu bessern.
    Doch in Wahrheit wartete Margaret nur darauf, daß die Reihe an ihr war. Wenn sie die Stelle mit der edelsteingleichen Frau, die ewig am Spinnen war, fertig hatte, konnte sie sich an den märchenhaften Abschattierungen von Verärgerung bis Entsetzen weiden, die über Bruder Gregorys Gesicht huschten, wenn er ihre Lebensgeschichte niederschrieb. Ein angemessener Lohn für soviel Fügsamkeit, dachte sie.

    Monchensie war die erste Burg, die ich von innen kennenlernte, und ist hoffentlich auch die letzte gewesen. Im allgemeinen sind Burgen netter zum Anschauen als zum Bewohnen. Zum einen sind Steinmauern sehr kalt, und so roch es dort immer dumpfig und modrig. Die Ritter und die Damen trugen im Haus schwere, pelzgefütterte Gewänder, aber die armen Leute und Diener besaßen nichts dergleichen, es sei denn, man zählt ein Schafsfell hier und da mit. Der Winter war so kalt, daß das Wasser in der Küche in den Krügen gefror. Ich hatte zwar recht warme Kleidung, aber meine Hände und Füße waren ewig blau und kalt. Selbst eine Kate ist besser zu heizen als eine Burg. Vermutlich hinderte uns nur unsere Angst vor dem Ungewissen daran zu gehen, denn Hilde und ich wußten nicht, wohin wir uns wenden sollten. Wie wir dann doch noch fortkamen, das ist eine Geschichte, die das Erzählen verlohnt.
    Normalerweise zogen Sir Raymond und sein Gefolge zwischen seinen drei größten Besitztümern hin und her, die jedoch in einiger Entfernung voneinander gelegen waren. Später habe ich gehört, daß die Lehensvergabe von verstreut liegenden Ländereien an die Barone zu den Vorsichtsmaßnahmen des Königs gehört, denn dadurch können diese sich nicht allzu lange an einem Ort aufhalten und Aufstände schüren. Und dann müssen diese großen Herren einfach umherziehen, weil sie einer Heuschreckenplage gleichen – sie fallen über einen Ort her, fressen alles kahl, und dann müssen sie weiter. Da es aber seine Frau bei der Geburt seines Erben so schwer gehabt hatte und sie dementsprechend schwach war, hatte Lord Raymond beschlossen, den Winter über lieber in Monchensie zu bleiben und dort auch mit seinem ganzen Haus Weihnachten zu feiern. An Festtagen war für Lord Raymond das Beste gerade genug. Und dieses Weihnachten, das erste nach der Geburt seines Sohnes, versprach ein großes Fest zu werden, wozu man für den Festschmaus meilenweit im Umkreis plünderte. Es sollte musiziert und getanzt werden, und dazu erhielten Sir Raymonds Musikanten Verstärkung durch Dudelsackpfeifer aus dem Dorf. Mir sagten die Lieder seiner Spielleute nicht sehr zu. Zum einen war Sir Raymond unmusikalisch, und das hatte sie lustlos gemacht. Während des Essens kratzten und zupften sie gleichgültig vor sich hin; das einzige, was Sir Raymond wirklich gern hörte, waren langschweifige und blutige Schlachtenballaden, die zur Handharfe gesungen wurden, vorzugsweise mit seinem Namen eingeflochten. Zur Geburt seines Erben hatten sie ein blumiges Lied verfaßt, doch leider mit zuviel Strophen, und Sir Raymond hatte gegähnt. Alles dachte schon, daß wohl nur die Dudelsackspieler unserem Weihnachtstanz aufhelfen würden. Doch das Schicksal wollte es anders und tat etwas zur beträchtlichen Verschönerung des Festes.
    Eines Dezembernachmittags, just vor Maria

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