Die Stimme
Gregory rubbelte an seinen hochgezogenen Knien. Kleine, schwarze Schmutzröllchen ließen sich von der Haut ablösen. Müßig benetzte er auch eine schmutzige Schulter. Ob Gott Waschen wohl für ein Zeichen von Eitelkeit hielt? Naja, vielleicht nur mit heißem Wasser und in einem Zuber mit einem farbenprächtigen Zelt darüber. Gar nicht so übel, die Sauberkeit. Also, kaltes Wasser, dagegen hatte Gott gewiß nichts einzuwenden… Sollte er nachgeben und sich überall waschen? Mit einem lustvollen Seufzer goß sich Bruder Gregory heißes Wasser über den Kopf und rubbelte heftig. Die Tonsur am Hinterkopf war am Verschwinden, und seine dunklen Locken waren mangels Nachschnitt wieder Wildwuchs. Theoretisch war Bruder Gregory sauber rasiert, doch selbst jetzt, da er etwas Geld hatte, wäre es ihm nie in den Sinn gekommen, sich wie ein Geck einmal die Woche barbieren zu lassen, und so legte er denn ›sauber rasiert‹ weniger streng aus als die meisten Männer. Jetzt goß er sich mehr Wasser über den Kopf, um das Haar auszuspülen. Kleine graue Pünktchen, die ein achtsames Auge als Ungeziefer ausgemacht hätte, gesellten sich zu dem Belag, der bereits auf dem Wasser schwamm.
Mit Mühe unterdrückte Bruder Gregory den Impuls, ein liebliches Stabat Mater zu summen, das er just gehört hatte, mußte aber feststellen, daß in dem warmen Wasser an Stelle der Schmerzensjungfrau die Göttin der Erinnerung von ihm Besitz ergriff. Er begriff immer noch nicht ganz, warum der Abt ihn in die Welt zurückgeschickt hatte, wo es für ihn doch so klar war, daß er einen Geist besaß, der sich vollendet zur Kunst der Göttlichen Kontemplation eignete. Um genau zu sein, diese erstaunliche Selbstoffenbarung war ihm schon vor einiger Zeit gekommen, nämlich auf der Überfahrt von Calais, als er über die Reling den grenzenlosen Ozean angestarrt und auf dem Flammentod seiner literarischen Laufbahn herumgebrütet hatte. Eine Stelle aus der Mystica Theologica von Dionysius war ihm ungerufen in den Sinn gekommen:
»Der Mensch vermag zu dieser verborgenen Gottheit zu gelangen, dadurch daß er alles ablegt, was nicht Gottes ist.«
Also, da hatte Dionysius ganz klargestellt, daß jemand, der von irdischem Wissen lebt, außerstande ist, die Göttliche Lehre zu erkennen, und insbesondere außerstande, die Göttliche Gegenwart schlechthin zu erfahren. Und da ging Gilbert dem Gelehrten jählings auf, daß die Buchverbrenner ihn geistig freigesetzt hatten, auf daß er Gott erkennen möge, und somit dafür gesorgt hatten, daß sie selbst sich an irdisches Wissen in Form anstößiger und gänzlich unrichtiger theologischer Argumentationen ketteten, und so nie dorthin gelangen würden. Und dieser Gedanke gefiel ihm und tröstete ihn so sehr, daß er flugs als Postulant in eines der strengsten Klöster Englands eingetreten war, denn er trug ein ungestümes Verlangen danach, seine Identität im Einssein mit der Gottheit zu verlieren.
Und da war es nur natürlich, daß ein Mensch wie er in der göttlichen Friedlichkeit des Klosters einen Grad gedanklicher Erhabenheit erreichte, um den ihn manch gewöhnlicher Mensch nur beneiden konnte. Doch als er sich dann ganz und gar darauf zugerüstet hatte, die endgültigen Gelübde abzulegen, welche ihn zu lebenslanger Kontemplation verpflichteten, da hatte ihn der Abt, der offenbar nicht imstande war zu erkennen, daß er an einem sehr heiklen Punkt seiner geistlichen Entwicklung angelangt war und mehr Rücksichtnahme fordern konnte als andere, also, der hatte ihn zu sich gerufen.
Bruder Gregory entsann sich noch recht lebhaft des langen, unangenehmen Wartens, wie er da auf dem Steinfußboden gekniet hatte, ehe Godric der Schweiger das Wort an ihn richtete.
»Du hast dir deinen Stolz bewahrt und noch genährt«, sagte der alte Mann, und seine wimpernlosen Lider zuckten langsam über den blassen Augen. Stolz? dachte Bruder Gregory. Ei, der Mann mußte ja unglaublich seicht sein, wenn er nicht mittlerweile seine außergewöhnliche Befähigung erkannt hatte. Während der alte Mann Bruder Gregory schweigend musterte, ließ dieser sich die Sache durch den Kopf gehen. Der Mann mußte sich einfach täuschen, wie so viele mit einem stark übertriebenen Ruf. Wer konnte wohl, wie Bruder Gregory, die meisten Stunden knien, ohne ohnmächtig zu werden, die meisten Tage fasten, ohne zu murren, und in gelehrten Disputationen die meisten Großen Meister zitieren? Außerdem war er gerade kurz davor gewesen, Gott zu sehen, als
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