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Die Stimme

Titel: Die Stimme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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Erinnerung nachgegangen, die ihn wie ein Blitz beim Anblick von ein paar seltsamen, goldfarbenen Augen getroffen hatte. Jetzt brodelte es nur so in ihm, denn mit seiner neuen Erkenntnis konnte er Margaret zwingen zuzugeben, daß sie bei ihrem Streit mit ihm gänzlich Unrecht gehabt hatte. Ein Jammer, dachte er, während er zum Fluß hinuntertrabte, daß der daheim tobende Kampf nicht auch so reibungslos beizulegen ist. Alles wartete zweifellos darauf, daß er Gott endlich sah, was nun wirklich nicht mehr lange auf sich warten lassen dürfte, da es seinem Vater doch immer wieder gelang, seine Demut auf die eine oder andere Weise ganz unermeßlich zu fördern.
    Erst als Bruder Gregory um die Ecke bog und das Haus in der Thames Street erblickte, ging ihm auf, wie sehr es ihm gefehlt hatte. Da ragte es vor ihm auf wie der leuchtend bemalte Aufbau einer Galeone. Direkt vor seinen Füßen suhlte sich eine große Sau im Schmutz der Gosse und schloß verzückt die Augen, während ihr die Ferkel an den Zitzen hingen. Ein aufsässiges Ferkelchen nahm nicht am Familienmahl teil, sondern schnüffelte fröhlich in einem großen Haufen Stallmist herum, der fast die ganze Straße versperrte.
    »Und noch nicht einmal zusammengerecht!« dachte Bruder Gregory gereizt. »Da kommt man ja kaum noch durch! Dergleichen hat es früher nicht gegeben. Es gibt heutzutage eben keine Ordnung mehr? Frei herumlaufende Schweine! Abfall! Wo bekommt man jetzt wohl noch einen ehrlichen Arbeiter her! Habsucht! Seit der Pest stimmt aber auch gar nichts mehr. Habsüchtige Arbeiter, entlaufene Leibeigene, verrückte Frauen, die unbedingt Bücher schreiben müssen! Das ist das Ende!« Was Bruder Gregory so tief bekümmerte, daß er, als er nach einem Weg um Schweine und Misthaufen herum suchte, den Ruf »Vorsicht, Unrat!«, der von oben her kam, nicht vernahm. Im Fenster des gegenüberliegenden, vorkragenden ersten Stockwerks war der kräftige Arm einer Magd zu sehen. Ein Schwupp – und eine warme Flüssigkeit ergoß sich über Bruder Gregory und durchnäßte sein Gewand an einer Seite. Gregory schüttelte sich, sprang zu spät zur Seite und stieß sich dabei den Zeh in der Sandale an einem unebenen Pflasterstein. Er war so entgeistert, daß er nicht einmal mehr Zeit hatte, sich Gedanken über die Anarchie zu machen, welche es jedem Hausbesitzer gestattete, den kleinen Zugang zu seinem Haus in jedem beliebigen Material und in jeder beliebigen Höhe zu pflastern.
    »Beim Leibe Christi, du blödes Weib –!« Und er drohte mit der geballten Faust zu den geschlossenen Fensterläden hoch.
    »Ei, Bruder Gregory, ich hatte gemeint, Ihr würdet unheiliges Fluchen mißbilligen?« Roger Kendall hatte sich seiner Haustür aus der entgegengesetzten Richtung genähert und mitbekommen, was Bruder Gregory zwei Häuser weiter zugestoßen war. Zu seiner Seite gingen der Schreiber, der ihm bei der Buchführung half, und ein kichernder Lehrjunge.
    »Aber ja doch, ja doch«, erwiderte Bruder Gregory reumütig. »Das war nur eine Schwäche des Fleisches; dafür werde ich Buße tun müssen.«
    »Was sehe ich, Euer Ärmel und Euer Saum sind ja ganz feucht. Kommt herein, das bringen wir wieder in Ordnung.« Master Kendalls Stimme klang empörend fröhlich.
    »Ich gehe lieber nach Haus; ich muß mich waschen«, knurrte Bruder Gregory. Düsteren Blickes musterte er seinen Ärmel. »Der Tag hat gut angefangen, doch wer weiß, was Fortuna noch alles für uns auf Lager hat, ehe er zu Ende ist.«
    »Wenn Fortunas Rad Euch nicht weiter hinunterzieht, dann darf man Euch wahrlich gratulieren. Doch Ihr verlaßt mir nicht das Haus, ehe Ihr nicht genauso ordentlich seid wie bei Eurer Ankunft.«
    »Aber ich bin doch noch nicht in Eurem Haus«, protestierte Bruder Gregory.
    »Jetzt aber, lieber Freund.« Die Tür wurde von innen aufgemacht, und ehe er wußte, wie ihm geschah, war Bruder Gregory schon drinnen. Roger Kendall händigte seinem Schreiber den Papierstapel aus und rief zur gleichen Zeit nach einem Diener.
    »Sagt meiner Frau, daß Bruder Gregory auf der Straße ein Unglück zugestoßen ist, sie soll Bess schicken, daß sie ihm ein Bad bereitet.«
    »Zuviel der Mühe, ich gehe jetzt lieber«, lamentierte Bruder Gregory.
    »Ganz im Gegenteil; es macht überhaupt keine Mühe. Hier noch viel weniger als anderswo in London. Wir haben einen prächtigen Zuber, nur zum Baden gedacht, mit einem kleinen Zelt darüber, so daß Ihr Euch nicht verkühlt. Er steht beinahe immer bereit. Meine

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