Die Stimme
ihn der Abt zu sich rufen ließ. Wahrscheinlich hatte das auch damit zu tun. Dann hatte der Abt etwas gesagt, was zeigte, daß er wirklich überhaupt nichts verstand. Was war es noch gewesen? O ja.
»Geh, bis du herausgefunden hast, ob du die Welt fliehst oder Gott suchst. Du darfst zurückkommen und es mir sagen, wenn du den Unterschied kennst.«
Da ist wahrscheinlich Eifersucht im Spiel, dachte Bruder Gregory. Das war's. Eifersucht und Politik, denen man einfach nirgendwo entging. Offenbar hatten ihn die Beschwerden anderer Brüder beeinflußt. Das kommt davon, wenn man Nichtadlige mit Männern von hoher Abkunft zusammensteckt – selbst wenn sie nur jüngere Söhne sind – und ihnen weismacht, daß vor Gott alle gleich sind. Dann nimmt die Eifersucht überhand. Ein Jammer, daß er zu aufrichtig gewesen war und nicht von Anfang an mit Eifersucht gerechnet hatte. Es geziemte sich ganz und gar nicht, daß die endgültige Aufnahme in den Orden von einem Votum der Mitglieder abhing. Schließlich stimmt Gott doch auch nicht über Erlösung ab, oder?
Bruder Gregory hatte Streit anfangen wollen. Er konnte tausend machtvolle Gründe aus der Heiligen Schrift anführen, warum sein eigener Weg zum Heil der beste war. Doch das ist eben die Schwierigkeit mit jemand, der als ›Schweiger‹ bekannt ist. Mit solch einem Menschen kann man sich einfach nicht streiten.
Für einen geistlichen Jämmerling wäre das ein furchtbar harter Schlag gewesen, aber Bruder Gregory hielt sich nicht für einen geistlichen Jämmerling. Er war jedoch schon solange dort, daß sie sein früheres Gewand dem Armenhaus an der Klosterpforte gestiftet hatten. Und so sah sich Bruder Gregory an jenem dunklen Januarmorgen denn gezwungen – nachdem er die weiße Robe und das schwarze Skapulier des Ordens abgelegt hatte –, sich auf den langen Weg gen Süden und auf London zu in dem schäbigen, unscheinbaren, grauen Gewand und dem schmierigen Schafsfell zu machen, das irgendein Laienbruder abgelegt hatte. Aber es hatte so schon seine Richtigkeit und paßte gänzlich zu seiner düsteren Stimmung.
Und so kam es, daß Bruder Gregory mitten im tiefsten Winter in die Welt der fahrenden Scholaren ausgestoßen wurde, welche Briefe kopieren, auf Beerdigungen beten und für Kleingeld Psalmen singen. Doch mitten in dieser Glaubensprüfung war Bruder Gregory von zwei Dingen felsenfest überzeugt; daß er eine Berufung zur Kontemplation hatte und daß er nie, nie wieder nach Hause zurückkehren würde.
»Wenn ich zurückkehre und dem Abt erzähle, daß ich Gott gesehen habe, dann muß er zugeben, daß er sich getäuscht hat«, knurrte Bruder Gregory und goß sich müßig Wasser über den Bauch.
»Heda, Bruder Gregory, Ihr seid aber lange dort drinnen, da will ich lieber hereinkommen und hier mit Euch reden. Ich bitte um Vergebung, aber ich muß in einer Stunde am anderen Ende der Stadt sein, und ich kann nicht fort, ehe ich Euch nicht meine Bitte vorgetragen habe.« Kendalls unbekümmerte Stimme durchdrang den dampfigen Nebel im Zelt und riß Bruder Gregory unsanft aus seinen Träumereien.
»So geht es in diesem Haus«, dachte Bruder Gregory. »Erst ziehen sie einen nackt aus und bitten einen dann um einen Gefallen, wenn man nicht fortlaufen kann. Na gut.« Und er steckte den Kopf aus dem Zelt.
»Wie geht es mit dem Leseunterricht, Bruder Gregory?«
»Dem was?«
»Dem Leseunterricht. Kann Margaret schon lesen?«
»Einfache Sachen ja. Sie macht gute Fortschritte. Für eine Frau ist sie nämlich sehr klug. Aber ihre Rechtschreibung ist furchtbar. Einfach barbarisch.«
»Wie gut wird sie, Eurer Meinung nach, zu Weihnachten lesen können?«
»Wenn sie so weitermacht, recht gut. Wieso fragt Ihr?«
»Ich denke da an ein Geschenk für sie, aber ich wollte mich erst mit Euch beraten.«
»Ein Geschenk? Was für ein Geschenk denn?«
»Ein Buch. Mir ist da eine Idee zu einer Art Psalter gekommen. Ihr seid genau der Mann, der mir helfen kann. Ich möchte eine Zeile in Latein haben, die nächste in unserer Muttersprache, und immer so fort. Auf diese Weise kann sie es selbst lesen und sich beim Lesen auch noch das Latein ansehen.«
»Das ist eine gefährliche Idee, mein Freund. Es ziemt sich nicht, Psalter in der Muttersprache zu besitzen. Sie verlieren ihren heiligen Charakter.«
»Ich habe dazumal allerhand gefährliche Ideen gehabt. Aber wir wollen uns nicht streiten, bevor Ihr nicht das Bad verlassen habt. Ehe ich gehe, sagt mir nur eins: kennt Ihr einen guten
Weitere Kostenlose Bücher