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Die Stimme

Titel: Die Stimme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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doch durch meine Feder die Geheimnisse Eures Lebens zu Papier gebracht. Ich habe kein bißchen geschnüffelt. Das wurde mir aufgezwungen.« Bruder Gregory lehnte sich zurück und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Monatelang hatte sie ihn gereizt, und so genoß er diesen Augenblick ganz unbeschreiblich. Seine knochigen, schwarzgewandeten Ellenbogen standen hinter seinen Ohren ab wie Fledermausflügel. Er grinste und weidete sich an Margarets Wut. Eigentlich sollte sie ihm dankbar sein. War es nicht viel besser, gutes Blut, wenn auch Bastardblut zu haben, als ein völliger Niemand zu sein? Doch es war nicht zu übersehen, daß sie nicht seiner Meinung war. Eine Ignorantin, wirklich. Interessant, daß sie ein so hitziges Temperament verbarg. Vielleicht warf sie noch mit dem Tintenhorn nach ihm.
    Doch Margaret überraschte ihn. Statt zu toben, begann sie plötzlich die Hände zu ringen. Eine Träne rollte ihr übers Gesicht, und sie sagte mit bebender Stimme, wobei sie sehr um ihre Selbstbeherrschung kämpfte:
    »Meine arme, arme Mutter. Männer sind einfach gräßlich.«
    Und Frauen, dachte Bruder Gregory, absolut nicht zu verstehen.
    Doch Bruder Gregorys Zukunft entschied sich an diesem Abend, als nämlich Roger Kendall lachte. »Ist das alles?« fragte er seine weinende Frau. »Ei, das ist doch völlig unwichtig – nicht einmal interessant, es sei denn, es handelte sich um einen Kardinal. Komm, komm – er kann nicht anders, er ist ein Querulant; das ist nun mal seine Natur. Du mußt dich lediglich entscheiden, ob du das Buch beenden willst oder nicht.«

Kapitel 8
    M ittlerweile war es Advent geworden. Als Bruder Gregory von der Walbrook Street zur Thames Street trabte, blies ein so eisiger Wind vom Fluß herauf, daß es ihn in seinem alten Schaffellumhang fröstelte. Zwar hatte er das schmierige, verfilzte Fell gegen die Frostluft nach außen gewendet, was eigentlich besser wärmen sollte, doch dieser Winter versprach schon jetzt, ungewöhnlich hart zu werden. Zugegeben hätte er es nie, aber er freute sich auf Master Kendalls warme Diele, wo alles ordentlich war und man den Winter gebührend in Schach hielt. Als er dann aber zur Lesestunde hereingeführt wurde, fand er den Haushalt in ungewöhnlichem Aufruhr vor. Er stand einen Augenblick an der großen Feuerstelle still, wärmte sich auf und bekam dabei mit, was Gesinde und Gesellen aufgeregt besprachen; und auch ein, zwei Lehrlinge lauschten gespannt der hitzigen Diskussion.
    » – und so streckt der Master einfach die Hand aus und wischt das Kreidezeichen über der Tür ab und sagt – kühler geht's wirklich nicht – zu dieser Bande von Gefolgsleuten – alle bis an die Zähne bewaffnet – ›Wenn Euer Herr Unterkunft sucht, so soll er das in einem unbewohnten Haus tun‹. Und ihr Hauptmann legt die Hand aufs Schwert, doch der Master sagt: ›Erschlagt einen freien Kaufmann von London auf seiner Schwelle, und Ihr hängt.‹ Inzwischen hatte ich die Jungen geholt, und Master Wengrave von nebenan war mit seinen dazugekommen, also steigen die Mistkerle wieder auf. ›Und holt Sir Ralphs Gepäck und seine Pferde auch aus dem Stall‹, spricht er. Ich kann Euch sagen, der Master Kendall, der hat Nerven aus Stahl –«
    »Was mag da geschehen sein?« überlegte Bruder Gregory. Doch als er das Zimmer betrat, wo er gewöhnlich unterrichtete, traf er eine sorgenvolle Margaret an, die von Roger Kendall beschwichtigt werden mußte.
    »Margaret, Margaret, reg dich doch nicht so auf. Merkst du denn nicht, daß alles vorbei ist? Das Gesetz ist auf unserer Seite. Nur weil der König sich in der Stadt aufhält, heißt das noch lange nicht, daß seine Gefolgsleute unser Haus beschlagnahmen können. Das mag anderswo üblich sein, doch in der City von London ist es schon lange Zeit verboten, und in den letzten zwanzig Jahren hat es auch niemand mehr versucht. Sie wollten nur einmal unseren festen Willen prüfen, und dabei haben wir uns als die Stärkeren erwiesen. Sie kommen nicht wieder, das kannst du mir glauben. Der König wird es nicht zulassen. Nun mach dir bitte keine Sorgen mehr.«
    »Was hat das alles zu bedeuten?« unterbrach ihn Bruder Gregory.
    »O, Bruder Gregory, ich bin im Augenblick viel zu durcheinander für Lesestunden.« Margarets Miene war ein Bild der Sorge. »Sir Ralph de Ayremynne hat versucht, unser Haus für seinen Aufenthalt in London zu beschlagnahmen, aber mein Mann hat sein Kreidezeichen über der Haustür weggewischt und seine Männer

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