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Die Stimme

Titel: Die Stimme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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weißem Gesicht und außer Atem. Bei gutem Wetter hatte ich es mir nämlich angewöhnt, die Tür offenzulassen, damit der Gestank aus Bruder Malachis Destille abziehen konnte. Die letzten Wochen war er dem Geheimnis der Umwandlung ›sehr nahegekommen‹. und so quoll denn ein eigentümlich übelriechender Rauch durchs Haus. Jetzt wetteiferte er – und dieses Mal erfolgreich – mit dem Gestank der Gasse, der normalerweise durch die geöffnete Tür drang.
    »Margaret, Margaret – Türen und Fenster offenstehen zu lassen, ist eine schlechte Angewohnheit. Das ist ja direkt eine Einladung für Diebe und Halsabschneider«, hatte Bruder Malachi eingewendet.
    »Aber hier gibt es doch nichts zu stehlen – keinen Penny und keine Wertgegenstände, welche die Mühe lohnen würden«, erwiderte ich ganz vernünftig, wie ich meinte.
    »Keine Wertgegenstände, keine Wertgegenstände? Ei, da ist meine Apparatur – und ob die kostbar ist! –, es dauert allein schon Jahre, wenn ich sie nachbauen muß!«
    »Aber wer will die denn haben – und wenn sie einer mitnähme, was nutzte sie ihm schon, da doch nur Ihr damit umzugehen wißt.«
    »Kann doch sein, daß mir ein Feind meine Geheimnisse stehlen möchte«, brummte Bruder Malachi. »Aber bedenke eines«, und hier hellte sich seine Miene auf, »schon bald werden sich im Haus Gold und Silber nur so türmen. Was für eine Versuchung! Und Margaret mit ihren schlechten Angewohnheiten läßt einfach ein Fenster offen –« hier ahmte er einen finster um die Ecke schleichenden Dieb nach, der im dunkeln nach Geld grapscht. »Und so – kriecht – er herein und schneidet uns die Kehle durch! « Bruder Malachi sprang dramatisch hoch, seine Hände wurden zu Klauen, die Augen rollten wie bei einem Wahnsinnigen.
    »O!« Ich erschrak und fuhr zurück. »Bruder Malachi, Ihr solltet Euch wieder Maistre Robert anschließen, Ihr seid zu dramatisch für mich!«
    »Mein Theater will etwas besagen, liebes Kind. Du solltest nämlich vorsichtiger sein. Das hier ist nicht gerade die vornehmste Gegend.«
    »Aber angenommen, wir ersticken, ehe man uns die Kehle durchschneidet? Was dann? Dann kommt Ihr nie hinter das Geheimnis. Und bedenkt außerdem, daß allein schon der Gestank jeden abschreckt, der hier nichts zu suchen hat.«
    »Hmm. Ein Gedanke, ein Gedanke. Ich werde ihn mir durch den Kopf gehen lassen.«
    Und so kam es, daß ich bei offener Tür drinnen an einer Flickarbeit saß und mich bemühte, mich gleichzeitig am Feuer zu wärmen und die frische Herbstluft zu atmen, was unter diesen Umständen schlicht unmöglich war. Gerade Bruder Malachis Kleider bedurften ständig der Ausbesserung, da fliegende Funken immer wieder Löcher hineinbrannten, denn er hatte seinen Verstand nicht beisammen, wenn er in eines seiner Experimente vertieft war. Als ich den Schlachtersjungen sah, legte ich mein Flickzeug beiseite.
    »Was ist los? Kann ich helfen?« fragte ich.
    Der Schlachtersjunge rang nach Atem, damit er sprechen konnte. Ich kannte ihn; es war einer meiner Freunde von der Schlittschuhbahn.
    »Ist die Wehmutter zu Haus, Margaret? Ich bin – ich bin den ganzen Weg gerannt. Meine Mistress hält die Schmerzen nicht mehr aus. Letzte Nacht ist ihre schwere Stunde gekommen, und es geht ihr sehr schlecht.«
    »Mutter Hilde ist nicht da, aber ich komme mit. Ich will nur noch meinen Korb holen.«
    »Du? Bist du denn auch eine Wehmutter? Du bist nicht alt genug dafür. Die Mistress will die alte, die auch ihr letztes Kind geholt hat.«
    »Die ist die ganze Nacht fort, wacht bei einer Frau in den Wehen – aber ich komme mit. Ich bin fast genauso gut.«
    »O, hoffentlich ist sie nicht böse. Es würde schon alles gutgehen, hat sie gesagt, denn sie hat schon acht Kinder gekriegt und vier begraben, warum sich also bei einem weiteren Sorgen machen? Mein Master wollte nicht dafür bezahlen, daß jemand die ganze Nacht bei ihr wacht. ›Laß deine Base kommen‹, hat er gesagt, ›und hol dir jemand, der dann die Nabelschnur durchschneidet. Das ist Frauensache.‹ Aber jetzt geht alles schief. Beeilt Euch, beeilt Euch!«
    Und wie ich mich beeilte, denn es war ein langer Weg von unserem Haus bis zu den Shambles. Vergangene Nacht hatte es auch noch geregnet, so daß viele der Straßen, die nicht gepflastert waren, nur noch Schlamm waren, was uns natürlich aufhielt.
    »Denk nur, wie schnell wir vorankommen würden, wenn es gefroren hätte und wir die Schlittschuhe nehmen könnten«, sagte ich, während ich auf meinen

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