Die Stimme
fortgeschickt. Und jetzt behauptet er, wir hätten nichts zu befürchten.«
»Und ich wiederhole es, mein Herz. Erschrick nicht vor Gespenstern.«
»A-aber, das Gesetz macht doch, was es will. Wenn man hochgestellt ist, hat man es immer auf seiner Seite. Auf das Gesetz ist überhaupt kein Verlaß. Ein Stück Papier ist nicht so stark wie das Schwert.« Margaret war immer noch durcheinander; das kam davon, daß sie zuviel dachte. Andere Frauen hätten sich mit den Worten ihres Mannes zufrieden gegeben.
»Unsinn, Liebes. Denk wie ich. Hinter dem Gesetz steht die Politik, und hinter der Politik das Geld. Darum behalten wir unser Haus.«
»Master Kendall, Ihr meßt dem Geld zuviel Macht zu. Im Himmel regiert Gottes heiliges Gesetz, auf der Erde das Schwert.« Bruder Gregory war ebensowenig imstande, Roger Kendalls Argumentation zu folgen.
»Bruder Gregory, Ihr macht einen Fehler. Die Engelsscharen Gottes arbeiten nicht für Geld. Er erschafft den Blitzstrahl und andere Waffen, ohne daß es ihn einen Penny kostet. Der König seinerseits kann ohne Geld kein Heer aufstellen. Wir in der City haben das Geld, und wenn er es haben will, darf er die City nicht vor den Kopf stoßen. Weil das Schwert ohne Geld in der Scheide bleibt, kommen beide, das Gesetz und das Schwert, erst hinter dem Geld.«
»Ein hübsches Argument, Master Kendall. Ich glaube zwar kein Wort davon, doch es schließt sich zu einem recht netten Kreis. Den Mann lob ich mir, der ein hübsch geformtes Argument zustande bringt. Das ist beinahe so gut, wie recht zu haben.«
»Ein Kreis? Ich sehe keinen.«
»Aber ja doch, ein Kreis. Denn Geld kann man nur verdienen, wenn der Frieden durch das Schwert gesichert wird. Ihr könntet also auch genauso gut sagen, daß Wohlstand hinter dem Gesetz kommt, und das Gesetz hinter dem Schwert – welches Euch zufolge hinter dem Wohlstand kommt.«
»Hmpf, ja. Ich merke, wir kommen nicht überein, weil wir uns nicht im gleichen Teil des Kreises befinden. Aber rutscht doch ein wenig zu meiner Seite herüber und sagt meiner Frau, daß wir nicht hinausgeworfen werden.«
»Mistress Kendall, Euer Mann hat recht. Ihr braucht nicht mit packen anzufangen. Wir sind beide der Meinung, daß Ihr überreizt seid und es viel zu gefühlsbetont nehmt.« Bruder Gregory blickte sie herablassend an, wie sie da auf den Kissen ihrer Fensternische neben ihrem Mann saß. Kendall hatte ihre Hände ergriffen, doch die waren immer noch klamm vor Angst.
»Ich bin überhaupt nicht gefühlsbetont; ich denke eben an wichtige Dinge wie das Haus, während ihr euch über Kreise streitet.« Margaret wurde langsam ärgerlich auf Bruder Gregory. Ärger war heilsam; darüber vergaß sie ihre Angst. Sie wurde aber noch ärgerlicher, als ihr aufging, daß Kendall entschlossen war, Bruder Gregory von seiner These zu überzeugen. Der wiederum verteidigte seine mit mehreren schlauen Beispielen, und schon bald stritten die beiden sich hitzig über Politik.
Sie brachten Margaret zur Verzweiflung: einen Augenblick dachte sie daran, sie einfach stehen zu lassen, doch dann fiel ihr ein, daß es nicht höflich war, wenn eine Unterrichtsstunde auf diese Weise ausfiel. So nervig Bruder Gregory auch zuweilen sein mochte, hatte er doch ihretwegen andere Arbeiten liegenlassen, und wenn er sein Honorar nicht bekam, dann vielleicht auch nichts zu essen. An derlei dachte Margaret immer, seit sie sich selbst in der gleichen Lage befunden hatte. Durch diese Rücksichtnahme unterschied sie sich gänzlich von den selbstsüchtigen reichen Frauen, die stets ein behütetes Leben geführt hatten und in einer gedrückten Stimmung bedenkenlos andere Leute vernichteten. So wartete sie denn, bis Kendall wieder einfiel, daß er an die Buchführung mußte, und versicherte ihm liebevoll, daß seine Beteuerungen ihr geholfen hätten, erst dann machte sie sich an die Arbeit. Es fiel ihr auch jetzt noch schwer, sich zu konzentrieren. Sie hatte ihren Schreck, daß ihre heile, stille, kleine Welt, die sie sich geschaffen hatte, in Gefahr war, noch nicht richtig verwunden. Als sie zu diktieren begann, war ihr Gesicht immer noch weiß, und ihre Hände zitterten zu sehr, als daß sie ihre Sticknadel hätten halten können.
Es war ein heller, kalter Herbstmorgen, als ich von meiner Arbeit aufblickte, denn ein lautes Klopfen an der Haustür hatte mich aufgeschreckt. Ich brauchte die Tür gar nicht erst aufzumachen, ich wußte schon, wer dort stand: einer der kleinen Lehrlinge des Schlachters mit
Weitere Kostenlose Bücher