Die Stimme
in unsere Gegend kamen, hatten wir ein Gefolge von untätigen, kleinen Jungen, von denen mich fast alle kannten.
»He, Margaret, es ist zu spät zum Schlittschuhlaufen! Wo hast du dir denn das geholt?« riefen sie schadenfroh.
»Jemand ist auf mich draufgetreten«, antwortete ich.
»Muß ja ein Pferd gewesen sein!« scherzte einer der kleinen Jungen.
»Margaret ist von einem Pferd getreten worden!«
Als wir dann in unsere Gasse einbogen, hatte sich schon die Nachricht verbreitet, daß einhundert Ritter in voller Rüstung in militärischem Auftrag in die Stadt galoppiert waren und Dutzende von Frauen und Kindern auf der Brücke zu Tode getrampelt hätten. Und schon bald sollten die Franzosen an der Küste gelandet sein, und während es Tage dauerte, bis man das Invasionsgerücht unterdrückt hatte, ließ sich das von den totgetrampelten Kleinkindern nie ganz ausrotten.
Als ich schließlich ins Haus getragen und am Feuer abgesetzt worden war, trafen auch schon die Nachbarsdrachen ein, angeblich um zu helfen, doch in Wahrheit, um einen vermeintlichen Augenzeugenbericht zu erhalten. Ich war zu erschöpft, als daß ich sie um ihr Vergnügen gebracht hätte.
»Man erzählt sich«, sagte die Nachbarsfrau, die mich so gern schlechtmachte, »daß die Straße von Blut nur so troff.«
»O ja, es gab genug Blut.«
»Und die Kinder haben geschrien?«
»Es wurde gräßlich geschrien – auch gebetet, so als wäre das Jüngste Gericht gekommen.«
»Man erzählt sich, daß es achtzig Ritter auf Streitrössern und in voller Rüstung waren«, kam eine andere Frau dazwischen.
»Ja, so viele habe ich nicht gesehen –« protestierte ich.
»Natürlich hat sie das nicht«, unterbrach die erste. »Sie war doch schon niedergetrampelt; wenn man am Boden liegt, kann man nicht viel sehen.«
Bald erzählten sie sich gegenseitig, was geschehen war, und je mehr sie an der Geschichte arbeiteten, desto besser wurde sie. Hilde bot Erbsenbrei an, den man mir vom Abendessen aufgehoben hatte, und sie wollten und wollten nicht gehen. Mein Bein tat weh, außerdem merkte ich, daß ich anfing zu fiebern.
»Was war mit der Frau, die du besuchen wolltest?« fragte Hilde mich leise, während sie weiterquasselten.
»Das Kind hat sich noch nicht gesenkt; es dauert noch ein Weilchen«, war meine Antwort.
»Das hat meine Wehmutter auch mal so ähnlich gesagt«, unterbrach mich eine der Frauen. »Aber die hatte keine Ahnung, das Kind ist so schnell gekommen, daß es mich innerlich zerrissen hat – seitdem bin ich nicht mehr die Alte.«
»Du? Zerrissen? Ei, du kannst dir nicht vorstellen, was ich für Schmerzen bei der Geburt meines fünften Kindes hatte. Es kam mit dem Steiß zuerst. Ich war monatelang zu nichts nutze.«
»Meine Liebe, wenn Gott nicht ein Einsehen gehabt hätte, du könntest diese Geschichte nicht mehr erzählen. Aber die Tochter meiner Base, bei der ist auch mal ein Kind mit dem Steiß zuerst gekommen, und sie ist daran gestorben. Man hat sie mit dem Kind im Arm begraben.«
Und schon bald tauschten sie Krankheitserscheinungen und Schreckensgeschichten aus. Ein ums andere Mal wandte sich dann wohl die eine beifallheischend an Hilde oder mich, und dann nickten wir stumm. Als sie am Ende des Klatsches überdrüssig waren, nahmen sie fröhlich schwatzend Abschied.
»O Hilde«, sagte ich, als sie fort waren, »hoffentlich kommen sie nicht wieder.«
»Hoffentlich kommen sie wieder. Frauen wie die machen dir einen Namen.«
»Aber ich habe doch schwer für meinen Namen gearbeitet. Das da sind bloß Tratschtanten.«
»Was du tust, gilt sehr wenig«, erwiderte Hilde. »Zählen tut nur, was die Leute über dich sagen.« Hilde war eine kluge Frau, viel klüger als ich, wie ich bald herausfand. Da ich jetzt keine Treppen steigen konnte, schlief ich mit Lion am Feuer und saß tagsüber mit hochgelegtem Bein auf der Bank und flickte oder erledigte andere sitzende Haushaltsarbeiten. Dort hörte ich dann eines Tages auch durch das offene Fenster den Nachbarsdrachen jemand anders erklären, sie hätte wichtige Dinge mit mir durchgesprochen und dabei festgestellt, daß meine Rede ›sachlich und Gott wohlgefällig sei‹. Was für ein Witz, dachte ich wehmütig, alles was ich dazu beigetragen habe, war doch nur ein Kopfnicken, während sie das Reden besorgte.
»Sie wirkt zwar jung, ist aber eine fromme Wittib und, wie man so hört, eine gute Wehmutter«, kam die Stimme von draußen.
Als ich dann auf einer Krücke wieder meiner Arbeit
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