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Die Stimme

Titel: Die Stimme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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hölzernen Stelzenschuhen dahinstolperte. Er blickte betrübt auf seine Schuhe, die vollkommen durchnäßt waren. Er war bis an die Knie mit Dreck bespritzt.
    »Ich kriege sicher einen Anpfiff, weil ich meine Schuhe versaut habe. Der Master behauptet, es gibt auf der ganzen Welt kein Balg, das mehr entzweimacht als ich.«
    »Vielleicht weiß er dir ja dieses Mal Dank für deine Eile und bemerkt die Schuhe nicht.«
    Als wir um die Ecke in die breite Straße einbogen, wo der Schlachter sein Haus hatte, kam uns ein kalter Windstoß entgegen, und wir wickelten uns fester in unsere Umhänge.
    »Seid Ihr sicher, wirklich sicher, daß Ihr genug wißt?«
    »Ich kenne alle Geheimnisse meiner Mistress«, sagte ich. Und, so dachte ich, was mir an Wissen fehlt, das mache ich mit einer Gabe wett. Natürlich kann ich sie retten.
    »Aber, dann seid Ihr ja ein Lehrling wie ich!«
    »Nicht richtig, aber so ähnlich. Sozusagen.«
    »Barmherziger, wir kommen zu spät!« Der Junge verlangsamte den Schritt. Sein Kinn zitterte, denn der Priester betrat das Haus durch den Laden im Erdgeschoß, ein Knabe mit einer Kerze ging ihm voran. Als der Lehrling mich oben ins Schlafzimmer führte, ballte der Vater die Faust und erhob sie gegen uns.
    »Ihr kommt zu spät, verdammt noch mal!« zischte er.
    »Ruhe!« mahnte der Priester, denn er erteilte der kaum noch atmenden Frau die letzte Ölung. Am Kopfende des Bettes saß eine Frau, rang die Hände und weinte. Vier kleine, vollkommen aufgelöste Mädchen kauerten am Fußende des Bettes. Der Vater stand mit hängendem Kopf in seiner Lederschürze und mit seinem großen Messer am Gürtel daneben. Er hatte gearbeitet, bis es schiefging.
    »Aber, ehrwürdiger Vater, mein Sohn –«
    »Es ist Gottes Wille. Wenn du einen Sohn willst, so mußt du wieder heiraten.« Die Stimme des Priesters war kalt.
    »So leicht gebe ich nicht auf!« Das brüllte er, und seine Augen blickten gänzlich irre. Schweiß strömte ihm über die Stirn. »Weg da, ich weiß, was ich zu tun habe!« Er schob den Priester fort, die kleinen Mädchen warf er vom Bett. Mit einer schroffen Geste schlug er den Rock der Toten zurück, den man ihr zu ihrem Lebewohl von dieser Welt schicklich übergelegt hatte. Sein scharfes Messer schimmerte über dem riesigen, glänzenden, weißen Leib.
    »Nicht, Papa, nicht!« schrie ein dünnes Stimmchen ganz außer sich. Der Lehrling wich in eine Ecke zurück. Mit einem einzigen Schnitt öffnete der Schlachter den Bauch, als wollte er ein Schwein ausweiden. Das Blut spritzte, lief ihm über die Schürze und regnete in Tropfen auf alle im Zimmer herab. Aber, da, o du lieber Gott, welch unbeschreibliches Entsetzen! Als das Messer ins Fleisch schnitt, durchlief ein gräßliches Zucken die Gliedmaßen der toten Frau, und ein Auge schien sich zu öffnen und sich grausig in meine Richtung zu verdrehen. Sie war noch nicht ganz tot gewesen!
    »Ein Junge! Bei Gott, ein Junge! So wurde Julius Caesar geboren!« Er hatte das schlaffe, blaue Kind aus dem geöffneten Schoß gehoben und hielt es blutig und triumphierend hoch, und die Nabelschnur hing herunter und verband es immer noch mit der Toten.
    »Hergeben, gebt es mir!« rief ich und kam wieder zu mir. Mit einem Finger holte ich aus seinem Mund das faulige, dunkle Zeug, das Merkmal einer schlimmen Geburt, heraus und fing an, ihm sacht in den Mund zu atmen. Seine Brust hob sich und fiel mit meinem Atmen, aber der Leib blieb blau. Die Geburt war zu schwer gewesen; ich wußte, es lebte nicht mehr. Der Priester kam näher und sah interessiert zu.
    »Weiteratmen«, sagte er. »Ich sehe, daß sich seine Brust bewegt; jetzt nicht aufhören.« Und dabei nahm er sein kleines Weihwassergefäß und besprenkelte das kleine Wesen dreimal.
    »Gotteskind, ich taufe ich im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.«
    Ich blickte auf. Da kauerte er über mir, wo ich mit dem Kind im Arm auf dem Fußboden am Bett kniete. Seine Miene war ausdruckslos.
    »Ich verliere nämlich keine Seele, die meiner Hut anvertraut ist«, sagte er und wirkte gänzlich gelassen.
    »Er lebt, er lebt!« schrie der Schlachter.
    »Nein, mein Sohn, er ist tot«, gab der Priester zurück.
    Als ich mir das blutige Kind in meinem Arm anschaute, da sah ich auch den Grund dafür. Der Kopf war viel zu groß. Tatsächlich war er zweimal so groß wie ein normaler Kopf, und die Stirn war geschwollen, als hätte sie zwei rechte Winkel oder vorspringende Höcker über den Augenbrauen. Keine

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