Die Stimme
der Aufseher mich abführte, versuchte ich, ihm zu danken.
»Vergeltet es mir nicht böse«, sagte er barsch. »Erinnert Ihr Euch an die Base meiner Frau? Die Frau des Fischhändlers? Meine Frau sagt, Ihr habt ihr das Leben mit so einem komischen Instrument gerettet, das Ihr mit Euch führt. Sie hat gesagt, ich hätte kein ruhiges Minütchen mehr, wenn Euch im Gefängnis etwas zustoßen sollte. Keine Frau kommt da heil heraus, das könnt Ihr mir glauben.« Als wir bei seinem Haus ankamen – es war nahe gelegen, gehörte es doch zum Gefängnisgelände –, da führte er mich hinein, stellte mich seiner Frau vor, die bereits eine Strohschütte in ihren abschließbaren Vorratsraum gelegt hatte.
»Wehe, du sprichst mit ihr«, sagte er zu seiner Frau. »Hoffentlich bist du jetzt zufrieden. Und den Schlüssel behalte ich lieber.« Er nahm den Schlüssel von ihrem Haushaltsbund ab und befestigte ihn an seinem eigenen Gürtel. Dann sperrte er mich in den kleinen, dunklen Raum unter der Erde. Nur ein stark vergittertes Fensterchen oben an der Decke ließ Licht herein, und auch das nicht eben viel. Da saß ich nun inmitten von Fässern und Kornsäcken und war sehr niedergeschlagen. Und dann merkte ich, daß ich sehr müde und hungrig war. Ich blickte mich um. Nichts zu essen oder zu trinken. Ich stellte mich auf Zehenspitzen und lugte aus dem Fenster. Es ging auf einen gepflasterten Innenhof. Ich konnte einen Fuß sehen. Er ging fort. Keine rosigen Aussichten.
Da saß ich nun und hätte gern geschlafen, als ich ein ›Psst!‹ vom Fenster her hörte. Die Stimme einer Frau. Ich blickte hoch. Dieses Mal waren zwei Füße zu sehen. Die Füße einer Frau: es war die Frau des Gefängnisaufsehers.
»Was kann ich für Euch tun?« raunte sie.
»Ich bin so hungrig und durstig, und ich habe die ganze Nacht nicht geschlafen.«
»Habt Ihr bei einer Geburt gewacht?«
»Ja.«
»Ist alles gut gegangen?«
»Ja.«
»So geht es meistens bei Euch. Wir haben alle von Euch gehört.«
»Es hat mir nicht viel Glück gebracht, oder?«
»Aber ich habe schon viel früher von Euch gehört als andere, vonwegen meiner Base. Sie behauptet, Ihr könnt irgendwie den Schmerz wegmachen. Ich habe nämlich einen sehr schlimmen Rücken, genau da –«
»Ich kann nichts sehen, bloß Eure Füße.«
»Es sitzt aber ganz am untersten Ende, nicht etwa oben.«
»Ist es schlimmer, wenn Ihr etwas hebt?«
»Viel schlimmer.«
»Dann bückt Euch nicht mehr, weder im Sitzen noch im Stehen. Hebt ein Weilchen auch nichts Schweres. Laßt eine Magd den Wäschekorb und den Kochtopf heben. Und wenn Ihr leichte Sachen hebt, dann bückt Euch nicht danach. Es braucht seine Zeit, bis es wieder gut ist.«
»Wenn Ihr es berühren würdet, wäre alles gut.«
»Ich komme nicht ran«, sagte ich zu den Füßen.
»Ach, dieser verdammte Mann aber auch! Wenn ich schon mal die Gelegenheit habe, meinen Rücken kuriert zu kriegen –«
»Gevatterin«, flehte ich, »ich bin sehr durstig, könnt Ihr mir nicht wenigstens etwas zu trinken holen?«
»Mein Mann bringt mich um«, flüsterte sie.
»Bloß Wasser, mir ist alles recht«, bat ich.
»Also gut, ich hole was. Aber versteckt mir den Becher. Wenn er ihn findet, bin ich eine tote Frau. Ich soll doch nicht mit Euch reden.«
Ich versprach ihr, den Becher zu verstecken, und die Füße entfernten sich. Dann schob eine Hand einen Becher Ale und einen halben Laib Brot durch das Fenster. Als ich fertig war, versteckte ich den Becher und schlief ein.
Wie gut, daß wir miteinander geredet hatten, denn eine weitere Gelegenheit bot sich nicht, und der Raum wurde erst am Morgen des dritten Tages wieder aufgesperrt. Als der Gefängnisaufseher mich hochbrachte, da merkte ich, daß ich sehr abgerissen und schlampig aussehen mußte. Ich war schier verdurstet und trank fast einen ganzen Eimer Wasser aus, ehe er mir Einhalt gebot aus Angst, ich könnte platzen. Als man mich in den Hauptraum des Domkapitels führte, wo das Verhör stattfinden sollte, da wünschte ich mir aus tiefster Seele, ich hätte wenigstens Gelegenheit gehabt, mir das Gesicht zu waschen. Es fällt schwer, wohlgenährten, gutgekleideten hohen Herren ungekämmt und ungewaschen gegenüberzutreten. Mir war so schwach und hungrig und scheußlich zumute. Aber ich nehme an, das machen sie mit Absicht, damit man schon verunsichert ist, ehe sie mit der Befragung beginnen.
Der Sitzungssaal des Domkapitels ist sehr hoch und wie die Außenwände geformt, das heißt, er hatte
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