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Die Stimme

Titel: Die Stimme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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würde es zwar nicht wieder werden, aber etwas viel Besseres ging mit ihm vor. Es war schmaler geworden, und wo einst fette Hängebacken waren, kam wieder ein kräftiges Kinn zum Vorschein. Seine Augen schienen zu glänzen, und die Falten auf der Stirn, die von Erfahrung erzählten, standen ihm gut.
    »Alle sagen, daß ich wieder jung werde, Margaret. Das macht dein Einfluß. Ich esse das alberne Grünzeug, trinke den gräßlichen Tee – ja, ich habe sogar den Weinkonsum eingeschränkt. Sieh dir meinen Fuß an!« Er hielt ihn hoch und wackelte damit. »Viel besser! Für dich will ich wieder jung werden, um dich glücklich zu machen.« Wie hätte sich wohl mein verhärtetes Herz nicht für ihn erwärmen sollen?
    Mittlerweile ging es mir so gut, daß mich zwei Diener hinunterbringen konnten, damit ich in seinem Wohnzimmer saß. Es ging auf den Garten, so daß ich die Rosen sehen und frische Luft atmen konnte. Jeden Tag nahm er sich etwas Zeit, setzte sich zu mir und zeigte mir die seltsamen Schätze aus seiner großen, eisenbeschlagenen Lade. Er besaß Schwerter mit fremdartigen Ziselierungen, ein Astrolabium und ausländische Dinge, wie ich sie meiner Lebtage nicht gesehen hatte. Er hatte Bücher in Latein, Französisch, Deutsch und sogar in Arabisch – eine Abhandlung über Mathematik –, aber auch Bücher in unserer Muttersprache. Aus denen las er mir vor. Meist waren es Gedichte, wunderschöne Gedichte.
    Eines Abends saß er neben mir in unserem großen Bett, die Vorhänge waren schon zugezogen. Er hielt meine Hand.
    »Liebste Margaret«, sagte er, »hast du nie daran gedacht, daß wir Kinder bekommen könnten?« Ich erschauerte. Er legte mir zärtlich den Arm um die Schultern und sagte:
    »Die Liebe ist nicht böse, Margaret, oder schmerzhaft oder grausam oder schimpflich.« Ich ließ den Kopf hängen. »Ehrlich«, sagte er, »gute Kinder zeugt man nur, wenn man sich liebt, und andere möchte ich nicht haben.« Als er merkte, wie ich ihn ansah, sagte er: »Ich denke an mein Versprechen, Margaret, und ich respektiere es. Ich möchte nicht, daß du mich einmal verachtest.« Ich sah seine Innigkeit und Großzügigkeit und wußte, er war mein treuster Freund.
    »Nur einen Kuß, dann bitte ich auch nicht wieder.« Seine Stimme klang sehnsuchtsvoll, sanft und traurig. Nur einen? dachte ich. Was ist schon dabei nach allem, was er für mich getan hatte.
    »Aber ja, einer ist nicht viel – nicht genug für Eure Güte. Ich möchte es auch«, antworte ich ihm.
    Er nahm mich zärtlich in die Arme und küßte mich voll auf den Mund, was er zuvor noch nie getan hatte. Das war zart und doch leidenschaftlich, also, ich kann es einfach nicht beschreiben. In mir regte es sich mit Macht.
    »Noch einmal?« fragte ich verhalten.
    »Noch einmal? Mein kostbarer, liebster Schatz.« Und er küßte mich noch einmal. Seine zärtlichen Hände berührten mich sanft – erst hier, dann dort, sachter als Staubkörnchen auf einem Sonnenstrahl tanzen. Ich spürte, wie ein Schauer – ein köstlicher Schauer dieses Mal – durch meinen Leib lief. Er küßte meinen Hals und dann meine Brust so wunderschön, daß eine Flamme der Leidenschaft von der Liebespforte geradewegs durch mich hindurchfuhr.
    »Ich will, ich will Euch so sehr«, flüsterte ich ihm ins Ohr. Ich spürte, wie ich von innen her erblühte wie eine Blume. Wie sonst hätte ich dergleichen wohl einem Mann sagen können?
    »Dann mußt du jetzt auch keine Angst vor mir haben, mein Schatz«, sagte er leise.
    Irgendwo – es kann nur sehr weit entfernt von diesem harten Land gewesen sein – war mein Mann Meister der geheimen Liebeskunst geworden. Welche kluge und leidenschaftliche Frau hatte ihn darin unterwiesen? Es gibt Frauen, die hassen die ehemaligen Liebhaberinnen ihres Mannes, ich aber hätte ihr, wenn ich sie gekannt hätte, gern gedankt, auch jetzt noch. Aber bei allem was er sagte und tat, rührte und veränderte mich vor allem die große Zuneigung, die sich in seinem tiefen und vollkommenen Lieben äußerte. Immer noch finde ich keine Worte, um mir das selbst zu erklären. Mit einer Art einfühlsamer Zärtlichkeit entfachte er unsere beiderseitige Lust, daß wir Gipfel unsäglichen Entzückens erreichten. Mein ganzes Ich wurde durchgeschüttelt und wieder neu. Und nachdem wir getändelt hatten – so schön, so angenehm, daß ich es nicht einmal ertrage, dafür das gleiche Wort zu gebrauchen, das man in der Regel für derbere Paarungen verwendet –, da ruhte er sich neben

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