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Die Stimme

Titel: Die Stimme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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gesund zu leben wie andere Menschen auch, was jemand wie ihm, der gutes Essen und Wein so sehr schätzte, nicht leichtfiel.
    Als Alison geboren war, gab er für sie eine so großartige Tauffeier, als wäre sie ein Sohn, und machte aus meinem ersten Kirchgang ein Fest mit so vielen Geschenken an die Kirche, daß sie mich für moralisch gebessert halten mußten. Was also als Vernunftehe begann, endete als Liebesheirat, und aus Not und Gram wurde Glückseligkeit, wie ich sie mir so nie erträumt hatte.

    Margaret blickte ihre Worte an, wie sie da hübsch und schwarz auf Papier standen und freute sich – freute sich sehr. Genauso sollte eine Geschichte enden, mit ›und sie lebten glücklich bis an ihr seliges Ende‹. Nun mußte diese nur noch einen ordentlichen Schluß bekommen. Genau wie ein hübsches Kleid einen anständigen Saum braucht, so sollte auch ein Buch mit dem richtigen Wort abgeschlossen werden. Sie tauchte ihre Feder in die Tinte und schrieb mit großen Buchstaben das passende Wort, mit dem man ein richtiges Buch beendete. Es war ein lateinisches Wort; Bruder Gregory hatte es ihr gezeigt. Die Feder war ganz stumpf geworden, und so spritzte die Tinte ein wenig, aber es sah dann doch sehr hübsch aus. Das Wort hieß

    FINIS

    Sie hielt das Blatt hoch, lächelte und bewunderte ihre Arbeit von allen Seiten. Dann legte sie die Blätter weg. Sie füllten ein ganzes Schubfach. Doch damit war die Geschichte noch nicht richtig zu Ende.

Kapitel 11
    B ruder Gregory stand einen Augenblick still und betrachtete die dunklen, tiefhängenden Wolkenmassen, die den Himmel bedeckten. Hinter ihm, gen Süden, zog sich meilenweit die uralte, zerfahrene Römerstraße nach London dahin. Um diese Jahreszeit gab es kaum Reisende, vor allem nicht zu Fuß, denn es war bitterkalt. Die kahlen Bäume am Wegesrand knarrten im Wind, und die trostlosen, windgepeitschten Felder, die sich vor ihm erstreckten, sahen wenig einladend aus.
    Bruder Gregory hielt die behandschuhte Hand hoch. War das nicht eine Schneeflocke gewesen? Mist. Bei Schnee kam er noch langsamer voran, und bis zum nächsten Dorf waren es noch viele einsame Meilen. Ich spute mich wohl besser, dachte er, und er schritt mit Hilfe seines langen Stabes noch einmal so schnell aus.
    Bald waren seine Kapuze und das Bündel auf seinem Rücken weiß getupft, und Bruder Gregory überlegte, ob er wohl noch vor seiner Ankunft Frostbeulen hätte. Immer wieder stieß ihm dergleichen zu, wenn er nach Haus wollte. Vielleicht sollte man es aber von der positiven Seite sehen. Frostbeulen würden seiner Demut gewiß förderlich sein, denn die hatte inzwischen unter Zuhilfenahme von bestimmten täglichen Gebeten schöne Fortschritte gemacht. Dieser Gedanke verleitete Bruder Gregory dazu, daß er, ohne das Tempo zu verlangsamen, in seiner Seele aufräumte – was er sich mindestens einmal wöchentlich vornahm, wenn nicht noch öfter. Ein paar Todsünden hatte er endlich gut im Griff – an der Hoffart arbeitete er noch, aber auch da waren Fortschritte zu verzeichnen. Die Völlerei würde ihm im Haus seines Vaters keinerlei Probleme bereiten – das Essen dort war furchtbar. Vater schien keinen Geruchssinn zu besitzen, also konnte sich der Koch natürlich alles herausnehmen.
    Bruder Gregory überlegte kurz, ob Geruchssinn und Gehör in einem Zusammenhang standen, da sich beides im Kopf befand. Vater hatte soviel Hiebe auf den Helm abbekommen, daß auch sein Gehör gelitten zu haben schien – zumindest aber konnte ihn Musik nicht rühren. Vielleicht war ja auch sein Geruchssinn diesen Weg gegangen. Vater konnte nur noch eine sinnliche Freude genießen, und die saß nicht unter dem Helm. Hmmm. Eine interessante Idee. Entstand die Sünde nun im Kopf und bewegte sich von dort nach außen in die Gliedmaßen, oder entstand sie in den Gliedmaßen selbst und bewegte sich nach innen und zersetzte das Hirn? Aber wie alle Gedanken, die sich um Vater drehten, führte auch dieser, so dämmerte es Bruder Gregory, in Gottferne. Das durfte einfach nicht mehr geschehen, wenn er erst zuhause war. Er würde dort unter sehr starkem Druck stehen.
    Selbst Sir William hatte man aufgerufen, daß er Vater in seinen Bemühungen unterstützte. Bruder Gregory barg an seinem Busen einen Brief von ersterem. Er war ganz eindeutig bei Vater auf Besuch gewesen, als er diesen Brief abfaßte, denn es war die Handschrift von Vaters Kaplan. Feinfühlig ging er gerade nicht vor; er pries den Herzog in den höchsten Tönen als

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