Die Stimme
dir so alles nachsieht. Zu dir sind sie netter als zu anderen, und ich weiß auch warum. Aber wenn ich ihm das erzählte, es würde ihm das Herz brechen. Er glaubte, daß der Bischof ihn nur um seiner selbst willen mochte. Warum sollte ich ihm seinen Glauben nehmen? Also sagte ich:
»Wenn du eine anständige Mahlzeit brauchst, wirst du doch wenigstens wiederkommen, oder?«
»Natürlich komme ich wieder.«
»Wann, David?«
»Wenn – wenn ich wieder Engel sehe.«
»O David, dann darf ich dir doch auch meinen Segen geben? Ich möchte dir die Hände auf die Schultern legen.«
Er kniete nieder, und ich legte meine Hände auf den rauhen Stoff, der seine mageren Schultern bedeckte. Das Zimmer leuchtete sanft orangefarben, dann dunkel orangerosa und für einen Augenblick in einem leuchtenden, weichen Honiggold.
»Ei, Margaret, du hast aber einen komischen Trick. Dein Gesicht wird ja ganz Licht. Wie hast du denn das gelernt?«
»Das ist eine lange Geschichte, David. Aber laß dir noch sagen, was mir an dem Bischof aufgefallen ist.«
»Und was wäre das?«
»Seine Flöhe springen noch viel weiter als deine jemals gesprungen sind.«
»O Margaret, du bist unverbesserlich!« Er gab mir einen Klaps auf den Arm, grinste, griff nach seinem Bündel und war verschwunden.
Margaret betrachtete, was sie geschrieben hatte. Es fiel ihr schwer, an David zu denken, ohne daß er ihr so fehlte, daß es richtig wehtat. Vor einem Jahr war ein von der Überseereise ganz fleckiger Brief eingetroffen, der ›An meine wohledle, vielgeliebte Schwester Margaret‹ adressiert gewesen war. Er war monatelang unterwegs gewesen und berichtete von Wanderschaft in Italien und Arbeit in einem Aussätzigenspital und einer geplanten Pilgerreise ins Heilige Land. Margaret ließ ihn sich immer wieder vorlesen und holte ihn gelegentlich hervor, um ihn wie einen Talisman zu berühren, so als könnte er David wohlbehalten zu ihr zurückbringen. Jetzt, da sie von David geschrieben hatte, mußte sie den Brief wieder sehen. Sie holte ihn aus der Lade, entfaltete ihn vorsichtig und betrachtete die in ihr Gedächtnis eingegrabenen Worte noch einmal, streichelte das Papier und berührte die Unterschrift, ehe sie ihn weglegte und sich wieder ans Schreiben machte.
In der nun folgenden Zeit wurde mein Mann reicher und reicher, so daß selbst die Leute, die sich über seine Heirat mit mir das Maul zerrissen hatten, sich jetzt um eine Einladung in seinem Haus rissen.
»Gute Gesellschaft und gutes Essen, Margaret – nur das zählt im Leben«, sagte er dann wohl und hielt eine seltsame Rarität hoch, die aus Übersee kam, damit er sie besser sehen konnte. Silberne Pokale aus Italien, goldene Ringe aus Konstantinopel, merkwürdige kleine, goldunterlegte Bilder der Muttergottes aus den slawischen Ländern – alles ging durch seine Hände und wurde zu Geschenken an die Großen und Mächtigen und baute seinen Einfluß noch weiter aus.
»Margaret, vergiß nie, daß wir alle Freunde brauchen«, sagte er dann wohl, wenn er mir von gehässiger Rache oder Betrug vor Gericht erzählte. Und dann setzte er hinzu: »Und ist es nicht ein Segen, daß du mein Haus so gut führst – das nämlich ist die Hälfte meiner neuen Erfolge.« Noch nie hatte man mich so gewollt und so geschätzt.
Er kaufte zwei weitere Herrenhäuser auf dem Lande, um seinen Besitz zu vermehren – eines nur darum, weil es einen ausgezeichneten Kirschgarten besaß, denn Kirschen aß er für sein Leben gern. Jedes Mal, wenn er Grund und Boden kaufte, schrieb er insgeheim sein Testament um, damit seinen Söhnen auch ja nichts in die Hände fiele, womit sie ihren anstößigen Lebenswandel finanzieren könnten. Und als ich dann mit Alison ging, wurden Lionel und Thomas, die befürchten mußten, daß ich einen Sohn trug und nicht ahnten, daß er sein Haus schon bestellt hatte, so bösartig, daß er ihnen das Haus ganz und gar verbot.
Aber ich wiegte mich immer noch in Träumen, daß ich sie eines Tages versöhnen, sie zur Umkehr bringen und damit ihres Vaters Herz erfreuen könnte. Ich dachte immer, daß die Gabe , mit der man gebrochene Knochen so leicht heilen konnte, auch zerbrochene Familien wieder zusammenbringen könnte, doch daraus wurde nichts. Manchmal klappte es auch bei Knochen nicht richtig, denn immer, wenn ich schwanger war, ging die Kraft nach innen auf das Kind über, ich konnte sie nicht heraufbeschwören und anderen helfen. Zu solchen Zeiten tat mein Mann gut daran, seiner Gicht zuliebe
Weitere Kostenlose Bücher