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Die Stimme

Titel: Die Stimme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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beide genug Erfahrung, daß wir wußten, man preßt besser nach unten als auf dem Rücken liegend, wenn man die Wahl hat.
    »Ei, Margaret, die vielen Kinder, die du geholt hast, da dürftest du jetzt aber keine Angst haben«, sagte sie und hielt mir die Hand.
    »Bei den eigenen ist das etwas völlig anderes, Hilde. Und außerdem weiß ich nur zu gut, was alles schiefgehen kann.«
    »Dann atme tief, statt durchzudrehen, Margaret; so geht es jedenfalls nicht, gerade du solltest das besser können«, bemerkte sie gelassen.
    Mein Mann kam fast um vor Angst. Er stapfte vor der Tür der Wochenstube auf und ab und lugte ein ums andere Mal um die Ecke, um Hilde etwas Unsinniges zu fragen.
    »Mir wäre leichter zumute, wenn Ihr jenes Ding hättet, das Margaret immer mit sich führte – nur für den Notfall, hört Ihr!« sagte er, während er draußen vor der offenen Tür wartete.
    »Nichts da, Master Kendall. Ich habe es vor lauter Angst nie gebraucht. Ich bin eben altmodisch. Es war immer Margarets Instrument, und sie kann ja wohl nicht gut ihr eigenes Kind holen, oder?« Hildes Gelassenheit und Vernunft wirkten ein Weilchen beruhigend auf seine Nerven. Als die Schmerzen schlimmer wurden, da mußte ich einfach stöhnen und schreien. Und schon wieder stand er an der Tür und störte uns:
    »Ich halte das nicht mehr aus, Mutter Hilde. Seid Ihr sicher, es läuft alles, wie es soll? Das hört sich ja furchtbar an; viel grausiger als ein Zusammenstoß mit Piraten. Ist das bei Frauen eigentlich immer so?« Hilde war zu beschäftigt, um zu antworten, und so setzte er sich draußen wieder hin und legte den Kopf in die Hände. Dann stieß ich erneut einen Schrei aus; der Kopf war durchgetreten.
    »Nur noch ein paar Minuten, Master Kendall, dann haben wir's geschafft; es läuft alles gut, wirklich sehr gut«, rief Mutter Hilde, als sie den schlüpfrigen Rumpf hochhob.
    »Ein kleines Mädchen, Ihr habt eine Tochter, Master Kendall«, rief sie eine Minute später. Aber sie wollte ihn nicht eher ins Zimmer lassen, bis das Kind nicht gesäubert und reinlich gewindelt war und auch ich gewaschen im frisch bezogenen Bett lag. Als er dieses Mal auf der Schwelle stand, hielt sie ihm ein kleines Bündel hin, daß er es musterte.
    »Ei, sie hat ja rote Haare!« rief er freudig aus. »Kleine rote Locken oben auf dem Kopf. Man kann die Farbe schon deutlich erkennen!«
    Hilde legte mir das Kindchen in den Arm, wo es zunächst nach der Brust schnüffelte und dann hingebungsvoll anfing zu nuckeln.
    »Wer hätte das gedacht? Rotes Haar«, murmelte mein Mann immer wieder verträumt. Seine Söhne waren schwarzhaarig wie ihre Mutter. Sein Haar war nämlich einmal, vor langer Zeit, rot gewesen, ehe es weiß wurde.
    Zeit meines Lebens bin ich nicht so müde gewesen wie in den nun folgenden Tagen und Nächten. Es war eine glückselige Müdigkeit, und meistens schlief ich und fütterte das Kindchen zwischendurch.
    »Möchtest du denn keine Amme haben und dich selber schonen? Ich hatte gedacht, alle Frauen wollten eine Amme«, sagte Kendall, als er die Ringe unter meinen Augen bemerkte.
    »O Hausherr, niemals. Denn das Kind trinkt mit der Milch auch die Eigenschaften der Mutter. Und ich habe zu viele Ammen aus der Nähe kennengelernt.« Seine Brauen wölbten sich, und er schüttelte den Kopf über meine Exzentrizität.
    Ein paar Wochen später – das Kind schlief – fand ich, ich könnte meine Näherei mit nach unten nehmen und mich an den Rosen erfreuen. Ich nähte gerade an etwas Hübschem, einem bestickten Kleid für mein kleines Mädchen.
    Agatha kam herein und störte mich, ihr Gesicht war ein Bild der Sorge.
    »An der Tür ist ein abgerissener Bettelpriester, der um Einlaß bittet. Er sagt, er kennt Euch und möchte vorgelassen werden. Ich jage ihn fort, wenn es Euch recht ist. Nichts als Blutsauger, diese Kerle, und Ihr braucht Eure Ruhe.«
    »Aber welchen Namen hat er angegeben?« fragte ich sie.
    »Er hat gesagt, er ist David – mehr bräuchte es nicht.«
    David! David hier!
    »O Agatha, schick ihn auf der Stelle herein – es ist mein Bruder.«
    »Euer Bruder? Da habt Ihr Euch aber einen armselig aussehenden Bruder ausgesucht. Wer konnte das wissen?« murmelte die alte Frau und verschwand.
    »David, David!« strahlte ich, stand auf und streckte die Arme nach ihm aus, als er ins Zimmer trat.
    »Nicht aufstehen, Schwester. Wie ich höre, hast du jetzt das Gewerbe des Kinderkriegens aufgenommen, und man hat mir gesagt, daß du Ruhe

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