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Die Stimme

Titel: Die Stimme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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dicht stehen und die Büsche an einem Bächlein eine Art wilde Laube bilden. Dort setzten wir uns, und dann sagte er überaus feierlich, während er in den vorüberglucksenden Bach blickte:
    »Du weißt, ich kann noch nicht heiraten, aber wenn du auf mich warten willst, dann frage ich Vater –« Und schon hatte er mich mit einer Hand zu Boden gedrückt und legte sich jetzt mit seinem vollen Gewicht auf mich.
    »Nur einen Kuß, einen süßen Kuß zu unserem Eheversprechen.« Aber er führte sich auf, als ginge es ihm um mehr als nur einen Kuß. Er sah so gut aus und war so unwiderstehlich! Aber als er mich auf der Erde festhielt, rief ich:
    »Aua! Geh runter! Jesus, unter mir ist etwas Scharfes, es sticht mich in den Rücken!« Wie schnell doch der Schmerz die Leidenschaft abtötet! Er rollte sich herunter, ein Bild zerplatzter Illusionen.
    »Liebst du mich denn nicht«, fragte er anklagend.
    »Nein, nein das ist es nicht – es ist etwas Scharfes, ich habe mich arg daran gestoßen. Da – eine Wurzel oder so –« Ich drehte mich um und wies es ihm. Seine Augen folgten meinem Finger.
    »Das ist keine Wurzel«, meinte er. »Das ist Holz – vielleicht die Ecke einer Kiste.« Und schon fing er gespannt an zu graben. Ein Feenschatz! Jedenfalls dachte er das. Wir glaubten alle an Feenschätze. Einmal hatten wir von einem Mann gehört, der mit seinem Pflug einen Krug voll seltsamer Münzen hochgepflügt hatte. Habsucht tötet nämlich auch den Trieb ab. Mich hatte er darüber ganz vergessen. Doch sein eifriges Graben endete schon bald mit einer Enttäuschung.
    »Ach, nur ein Holzschuh, ein verflixter Holzschuh.« Wenn das nicht ein sonderbarer Holzschuh war! Ganz aus Holz und oben passend für einen menschlichen Fuß geschnitzt. Doch die untere Hälfte, welche einen Abdruck auf dem Boden hinterlassen würde, war wie ein Pferdehuf geformt. Es konnte gar keinen Zweifel mehr geben, wenn Richard tiefer grub, würde er keinen Schatz finden, sondern mehrere Paar gleich aussehender Holzschuhe…
    »Ach, laß doch«, sagte ich und warf ihn beiseite. »Aber wo wir uns einmal über wichtige Dinge unterhalten, will ich ehrlich mit dir sein. Wenn du mich nicht bald heiraten kannst, dann sollten wir lieber kein Verlobungskind machen. Denn ich will keine unehelichen Kinder, auch wenn ich dich noch so sehr will.«
    »Du magst recht haben«, murrte er. »Ich möchte das Erbe meines Sohnes auch nicht aufs Spiel setzen. Aber wirst du auch auf mich warten?«
    »Soweit es in meiner Macht steht, ja«, versprach ich.
    Ehe wir gingen, grub ich den Holzschuh wieder ein. Warum sollten meine Brüder noch mehr Ärger bekommen, als sie ohnedies schon hatten? Aber es gab keinen Ärger, selbst dann nicht, als das halbe Dorf den Müller mit: »Letzte Nacht Kopfschmerzen gehabt, George?« grüßte.
    Aber der Frühling ist natürlich die Jahreszeit, in der die Geschäfte des Teufels besonders gut blühen und selbst gute Menschen in Versuchung geraten, das Sakrament der Ehe zu brechen. Was nun die Menschen angeht, welche immer in Versuchung sind – na, die sind dann wahrscheinlich noch eher zur Tat geneigt. Manchmal verschwand Vater ganze Tage lang zusammen mit dem Ehemann von Alice, deren Kochtopf viele Male, doch ohne rechten Erfolg, exorziert worden war. Wenn Vater zurückkam, dann lachten Will und Rob wohl und knufften ihn und hänselten:
    »Warum für etwas bezahlen, was es umsonst gibt? Weißt du denn nicht, wieviel Sternlein stehen?« Und Vater mochte dann antworten:
    »Man kriegt, für was man bezahlt«, und verdrehte die Augen in gespielter Verzückung.
    Obwohl ich aufmerksam lauschte, kam ich nie ganz dahinter, wohin sie gingen. Bei solchen Gelegenheiten überprüfte Mutter mit bitterem Blick den Inhalt des kleinen Kästchens, in dem sie ihr Kleingeld aufbewahrte.
    »Wenn ich eine Wittib wäre«, sagte sie mit harter Stimme, »könnte ich meinen Verdienst behalten. Aber das ›Fleisch von meinem Fleisch‹ darf in die Geldlade langen, wann es ihm beliebt. Und auch noch wofür. Zehnter und Steuern, nichts ist so schlimm wie ein Ehemann, der ein fauler Schurke ist.« Sie blickte mich grimmig an:
    »Fürwahr, heirate einen reichen Mann oder lieber gar nicht! Laß die Finger von armen, gut aussehenden Jungen, die gern ein Auge riskieren und bezaubernde Manieren haben wie dieser niederträchtige Richard Dale! Was du brauchst, ist ein nüchterner Mensch, der sich nicht halb soviel auf sein Aussehen einbildet, ein sparsamer Mensch, bei dem du es gut

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