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Die Stimme

Titel: Die Stimme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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getanzt, Mummenschanz getrieben, getrunken, und es werden alle möglichen Streiche gespielt.
    Der König des Maifestes heißt Robin Hood, und er wird mit seiner Königin, der Maid Marian, unter den hübschesten jungen Leuten im Dorf ausgewählt. Dieses Jahr war es der schmucke Richard Dale, und ich wurde natürlich zur Maid Marian gekürt. Der Größte wird der Kleine John, und der darf alle Festteilnehmer madig machen. Doch die deftigste Rolle hat der Klosterbruder Tuck, und die fällt immer dem größten Rüpel im Dorf zu. Der darf dann während des ganzen Festes, vor und nach der Aufführung des Stückes von Robin Hood, Streiche spielen, soviel sein Herz begehrt. An diesem Tag durfte sich Bruder Rob das Gewand des Klosterbruders anziehen als Anerkennung dafür, daß er auf die Idee gekommen war, wie man sich an dem Müller rächen konnte.
    Keiner sah schmucker aus als der fröhliche Richard, wie er vom Ale erhitzt den Rundtanz anführte.
    »Keine ist schöner als du, Margaret«, raunte er mir zu, als wir uns beim Kreuzen begegneten. »Keine kommt dir gleich«, als wir wieder zurückkreuzten. Als der Tanz zu Ende war, flüsterte er:
    »Vergiß nicht, auf mich zu warten, schöne Maid Marian, ganz gewiß wird mein Vater bald mit deinen Eltern reden.«
    »Und du wartest auf mich, mein holder Robin?«
    »Immer«, sagte er, küßte mich und verschwand. Ich blickte ihm nach, und da spürte ich, daß inzwischen jemand hinter mir stand und geduldig wartete, daß ich ihn bemerkte. Ich drehte mich um und erblickte Mary, die wie gewöhnlich erpicht war, sich mit mir zu unterhalten.
    »Es ist sehr heiß, Margaret«, sagte Mary zu mir, als Richard fort war. »Möchtest du nicht ein wenig mit mir im Schatten sitzen? Ich habe dir etwas zu sagen.«
    »Tut's der Baum hier, Mary?«
    »Da kann uns doch jeder sehen, Margaret, du Liebe, etwas verschwiegener wäre mir lieber.«
    »Na gut«, antwortete ich, »dann laufen wir eben, bis wir einen guten Platz gefunden haben.«
    »Das wird nicht leicht sein, Margaret, denn mir scheint, daß heute alle verschwiegenen Plätzchen Liebespaare beherbergen.«
    »Dann gehen wir eben weiter. Ich weiß da eine Laube, die wie ein kleines Zimmer ist. Die haben wir ganz für uns.« Ich erriet ihre private Nachricht schon, das arme Mädchen. Ich muß mich schon sehr täuschen, wenn sie mir nicht erzählt, daß sie schwanger war, dachte ich.
    »Margaret, ich wollte über meine Liebe zu Will reden.«
    »Hab ich mir schon gedacht.« Inzwischen hatten wir das rege Treiben hinter uns gelassen. Mary warf mir einen besorgten Blick zu. Sie war blaß und hatte Schatten unter den Augen.
    »Margaret, er sagt, daß wir das Aufgebot noch nicht bestellen können.«
    »Dann hat Vater seine Zustimmung gegeben?«
    »Noch nicht, noch nicht, aber gewiß bald. Schließlich muß vieles vereinbart werden. Der Besitz… es ist nämlich alles so kompliziert. Und dann müssen die Morgengabe und die Mitgift ausgehandelt werden.«
    »Ja, aber Mary, ich weiß nicht, ob er Vater überhaupt schon gefragt hat.«
    »Was? Nicht gefragt?« Sie war außer sich. »Er muß aber gefragt haben. Das hat er mir doch gesagt. Gewiß machst du Spaß.«
    »Schon gut«, sagte ich beschwichtigend. »Ich weiß über Vaters Angelegenheiten nicht so genau Bescheid.«
    »Stimmt, stimmt. Männer erzählen Frauen nicht immer alles.« Sie zögerte. »Ich muß aber doch mit dir reden. Wenn das Aufgebot jetzt nicht bestellt wird, dann können wir nicht mehr heiraten, ehe er fortgeht.«
    »Ja, das stimmt, aber du könntest doch bis zu seiner Rückkehr warten. O – wir sind da. Komm, wir plantschen mit den Füßen im Wasser und reden darüber, wie – liiiiii!«
    Als wir uns bückten, um in die Laube zu gelangen, hatten wir beide etwas gesehen, das wir nicht erwartet hatten – einen Mann, der sich äußerst eifrig unter den Röcken einer der beiden Töchter von Watt dem Hirten betätigte. Die andere hielt seine Schultern umschlungen und murmelte:
    »Dann bin ich dran. Dann bin ich dran.« Das Gesicht des Mannes konnte ich nicht sehen, doch ich meinte, die Bruch zu erkennen – sie war grün wie die Robin Hoods. Und dann gab es keinen Zweifel mehr. Richard Dales Lockenkopf tauchte mit gekränkter Miene zwischen den wild wogenden Röcken auf.
    »So wartest du also?« sagte ich wütend, während mir die Tränen über die Wangen liefen.
    »Männer sind eben anders als Frauen, du kleine Heilige Jungfrau du. Nimm's doch nicht so tragisch. Wir haben eben

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