Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Stimme

Titel: Die Stimme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
Vom Netzwerk:
denn so konnte ich endlich in Ruhe von einer Heirat mit dem schmucken Richard Dale träumen. Jetzt, da meine Brüder nicht zuhause waren und ihn daran hindern konnten, besuchte er mich jeden Tag. Wie sie mich alle beneideten; es gab keine Frau in Ashbury, die nicht in Richards Lockenkopf vernarrt gewesen wäre, auch wenn sein Vater nicht wohlhabend war. Richard war eben fünfzehn, bezaubernd und ein wunderbarer Tänzer – nur ich war ihm darin noch über. Er wollte mir überhaupt nicht mehr aus dem Kopf gehen.
    Eines Sonntags stand ich mit Richard Dale nach der Messe auf dem Kirchhof, als die Kirchgänger eine erstaunliche Geschichte zu erzählen wußten. Anscheinend war der Teufel tatsächlich gekommen, um sich den Müller zu holen und hatte nur von ihm abgelassen, als dieser ihm Geld und die Jungfernschaft seiner Tochter angeboten hatte. Komisch, daß man den Teufel mit derlei Anerbieten von seinem Vorhaben abbringen konnte, doch außer mir kam das niemandem merkwürdig vor. Aber wer kann auch schon wissen, was im Kopf des Teufels vor sich geht? Doch jetzt wollte sich der Müller wohl vor dem Teufel drücken und sich nicht an die Abmachung halten. Er hatte einen Priester für eine Teufelsaustreibung ins Haus bestellt; und der Priester sah bei seiner Ankunft zu seinem Schreck Abdrücke von Pferdehufen unter dem Fenster des Müllers.
    »Und der Teufel hole sich gleich auch noch die ganzen Wölfe in St. Matthew's«, sagte Tom der Küfer, als er die Geschichte bei einem Ale zum hundertsten Mal in unserem Haus zum Besten gab.
    »Kann er nicht, es sind so viele, daß sie nicht alle in seinen Sack passen«, sagte Will.
    »Jaja. Wahrscheinlich fängt er mit dem Kleinsten an«, meinte Rob. »Wenn man den großen, fetten Abt da fortschleifen wollte, dazu brauchte man wohl zwei Teufel.« Schallendes Gelächter.
    Doch die Teufelsaustreibung wirkte nicht, denn schon bald darauf erzählte man sich bei Mutters Ale eine andere Geschichte. Anscheinend war der Teufel zurückgekommen, um sich das Versprochene zu holen, und nicht einmal das Kruzifix über der Tür hatte ihn abgehalten, denn er kletterte zum Schlafzimmerfenster hinein. Drei Dämonen begleiteten ihn – alle sehr groß, alle mit Hörnern auf dem Kopf und mit langen Schwänzen wie die Ochsen. Der Teufel selbst hatte einen Tierkopf und Tierhörner. Doch am auffälligsten war seine Haut. Sie war grün, genau wie auf den Bildern in der Kirche, und das überall grün, wenn Ihr versteht, was ich meine.
    Während die Dämonen den Müller festhielten, rief der Teufel: »Und jetzt zu unserer Abmachung!« und riß die Bettdecke vom Fußende an der Seite fort, wo die Müllerstochter ihren Platz hatte und den Kopf versteckte. Unter den Decken konnte man alsdann eine gedämpfte Stimme aufbegehren hören:
    »George, George, du lieber Himmel, was machst du da? Ich dachte, du hättest Kopfschmerzen!«
    »Dummkopf, du hast die Frau erwischt!« lachten die anderen Dämonen, und der Teufel war gezwungen, seinen Fehler wieder gutzumachen. Als er fertig war, sah er sich den Schauplatz recht interessiert an und sagte ruhig:
    »Kein Blut, Master Miller. Du bist ein unehrlicher Mensch. Man darf nicht verschachern, was man nicht hat. Dieses Mädchen war zweifellos keine Jungfrau mehr. Ich glaube, du selbst hast sie gehabt, du Schwein du. Weißt du denn nicht, daß man den Teufel nicht betrügen kann? Wenn wir hier fertig sind, nehme ich dich wohl doch noch mit in die Hölle.«
    Dann stopften die Teufel den verängstigten Müller in einen seiner Getreidesäcke und warfen ihn aus dem Fenster. Doch irgendetwas mußte ihnen dazwischengekommen sein – der Müller schwor immer, es sei eine heilige Reliquie gewesen, die er um den Hals trug. Sie kamen nicht weiter als bis zu seinem Mühlenteich und warfen ihn hinein. Und durch eine himmlische Fügung war es das seichte Ende. Am Morgen befreite man ihn, naß und strampelnd, aus dem Sack. Die entsetzten Nachbarn entdeckten unter seinem Fenster ein Gewirr riesiger Abdrücke von Pferdehufen.
    Und nicht lange danach überraschte ich Will, wie er sich im Bach die Hände schrubbte:
    »Grasflecke, Schwester. Die nehmen sich nicht gut an mir aus.«
    Ich hatte so meinen Verdacht, und der wurde zur Gewißheit, als Richard Dale und ich eines Abends spazierengingen.
    »Laß uns an einen etwas traulicheren Ort gehen«, bat er. »Ich habe etwas Wichtiges mit dir zu besprechen.« Und so verließen wir das Dorf und gingen zu einem hübschen Plätzchen, wo die Bäume

Weitere Kostenlose Bücher