Die Stimme
Bedürfnisse. Eine richtige Frau versteht die Bedürfnisse eines Mannes –«
»Wie wir«, warf eine der Schwestern ein. »Wenn ein Mann die Ehe versprochen hat, beweist das doch seine ehrlichen Absichten. Wie bei uns. Tun wir doch noch einmal so, als ob das unsere Hochzeitsnacht ist, allerliebster Richard.«
»Und dann mit mir«, meldete sich die andere und schnitt mir eine Grimasse.
»Sie versteht die Männer einfach nicht«, beruhigte Richard die Schwestern, während er sich kaltschnäuzig wieder an die Arbeit machte. Ich machte auf dem Hacken kehrt, ich war zu böse und zu gedemütigt, als daß mir eine bissige Bemerkung eingefallen wäre.
»Weg hier, komm sofort von hier weg«, sagte Mary und zog mich am Ärmel.
»Du kannst sie sowieso nicht beide auf einmal heiraten.« Ich hatte mich umgedreht und ihnen das wütend zugerufen. Warum kommt man mit einer klugen Bemerkung immer zu spät?
»Natürlich kann er das nicht. Natürlich nicht, Margaret, Liebes. Und wenn er hundert Töchter von Hintersassen heiratet, er bekommt dabei auch nicht einen Penny Mitgift. Wenn er so eitel ist, daß er eine so gute Mitgift wie deine für ein bißchen Spaß aufs Spiel setzt, dann willst du ihn wirklich nicht.«
»Ich will ihn aber, oder besser, ich habe ihn gewollt. Mir ist einfach scheußlich zumute.«
»Laß dir das nicht anmerken, Liebes. Ich lasse es mir ja auch nicht anmerken. Aber demnächst merkt man mir etwas an, und er geht weg und läßt sich umbringen, und ich bin dann nicht einmal Wittib!« Und aus ihrem Weinen an meiner Schulter wurde zusehends ein Heulen. Und ich heulte an ihrer Schulter. Als wir uns ausgeheult hatten, wuschen wir uns die Augen mit viel kaltem Wasser, bis unsere Gesichter nicht mehr ganz so verweint aussahen.
An diesem Abend aßen und tranken wir schier unersättlich. Zwar mußte ich neben Robin Hood am Kopfende des Tisches sitzen, so wie sie neben Will, aber man verdrängt derlei am besten, wenn man sich überfrißt und säuft.
»Auf die Maid Marian, auf die Schönste und die Gefräßigste unter den Frauen!« jubelten mir die Tunichtgute des Dorfes zu, und ich hob immer wieder den Becher und trank einem Schwarm von Gesichtern zu, die sich zu vervielfachen und um den Tisch herumzuwirbeln schienen. Schon hatten die Schwächeren die Besinnung verloren, doch die Kräftigeren hielten aus und zechten bis zum Einbruch der Nacht. Und ich wollte Richard Dale unter den Tisch trinken, ja! Da saß er neben mir und war so hoffärtig, daß er nicht einmal zum Pinkeln aufstand, obwohl ich mir ausrechnete, daß er nicht mehr lange an sich halten konnte.
»Schenk mir ein, trefflicher Klosterbruder!« rief ich, »denn ich kann jeden Mann hier unter den Tisch trinken!« Sie jubelten mir zu, der schlimmen, wilden Maid Marian. Erzähle mir keiner, daß eine Frau nichts verträgt! Ich schüttete den Becher zur Hälfte hinunter.
»Der Rest ist für dich, unerschrockener Robin Hood«, rief ich und reichte Richard Dale den Becher.
»Weiß Gott, das Mädchen ist die Tochter ihres Vaters! Wer hätte gedacht, daß der alte Saufsack seine Begabung an seine Tochter weitergeben würde?« Die alten Böcke respektieren doch nichts mehr als einen gewaltigen Trinker. Aber sie kennen ja auch kein anderes Vergnügen.
Richard wurde ganz blaß, und der Schweiß stand ihm auf den Schläfen. Als ich ihn erschauern und trinken sah, da wußte ich, daß ich ihn schließlich da hatte, wo ich ihn haben wollte. Welche herrliche, boshafte Genugtuung, als ich sah, wie er um den Mund ganz grün wurde. Seine Augen schienen in verschiedene Richtungen zu rollen. Dann erbrach sich Robin Hood mit einem ekelhaften Gurgeln und fiel sinnlos betrunken von der Bank.
»Hurra! Die Maid Marian hat gesiegt!« jubelten mir die zu, die noch am Tisch verblieben waren. Ich stand auf, verneigte mich und schwenkte den leeren Becher, als ich plötzlich merkte, daß es auch um mich gar nicht so gut bestellt war. Ich nahm ein wenig hastig Abschied und ging meinen Bedürfnissen anderswo nach.
Es dunkelte schon, als ich unsere Hintertür erreichte, aber ob nun dunkel oder hell, mir war es gleichgültig, denn ich konnte nicht mehr geradeaus sehen. Als ich nach dem Türriegel suchte, packte mich eine schwere Hand bei der Schulter, drehte mich herum und drückte mich an die Wand.
»Schöne Margaret«, lallte eine betrunkene Stimme. Ich konnte nicht erkennen, wer es war. Eine Hand quetschte mir die Brust, und ein stinkender, haariger Mund legte sich auf meinen.
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