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Die Stimme

Titel: Die Stimme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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Draper es nicht weiter hätte bringen dürfen als er selbst, doch durch eine Laune des Schicksals Gunst bei hochgestellten Gönnern gefunden hatte. William le Draper gab sich nicht mit meinem Mann ab; und im Gegensatz zu vielen, die ihn für einen netten Kerl hielten, ging ihm William le Draper in der Regel unauffällig aus dem Weg, auch wenn sie sich fast täglich in städtischen Angelegenheiten begegnen mußten.
    »Ein Fest, ein Ball, wie sich dieser William aber auch mit seinem Glück brüstet«, bemerkte mein Mann grämlich.
    »Dir lacht auch bald das Glück«, sagte ich mit der gebührenden weiblichen Unterwürfigkeit.
    »Wenn mein Sohn geboren ist«, und dabei warf er einen Blick auf meinen gewölbten Leib, »gebe ich ein großes Tauffest – viel größer als diese Hochzeit, darauf kannst du dich verlassen.« Ein Anflug von Unsicherheit huschte über sein Gesicht, doch nur einen Augenblick lang, dann wandte er sich ab. »Und du Margaret, wehe, du siehst dich nicht vor. Ich möchte nicht, daß meinem Sohn durch deine Sorglosigkeit etwas zustößt.« Und als er mir das Gesicht wieder zuwandte, lag darauf das freundliche Lächeln mit den eisigen Augen.
    »Hausvater, darf ich dich um einen Gefallen bitten?«
    »Ja, bitte nur, und wenn es schicklich ist, sollst du es haben«, erwiderte er zuvorkommend.
    »Darf ich heute abend in die Kirche?«
    »Ja, um für meinen Sohn zu beten? Nimm Robert mit, denn wenn du in der Dämmerung zurückkommst, sind die Straßen für eine Frau nicht mehr sicher.«
    »Danke, und kann ich auch Geld für eine Kerze haben?« Kein Penny verließ das Haus, über den nicht abgerechnet wurde. Am besten, man redete ohne Umschweife mit ihm, denn er war in selten umgänglicher Stimmung.
    »Du kannst zwei, drei Kerzen haben, wenn du willst«, erwiderte er und fischte die Pennys aus der Börse, die er bei sich trug, dann war er fort.
    Als ich meinen Umhang holen ging, fragte Berthe, warum ich ausgehen wollte. Ich blickte ihr fest in die Augen und sagte ruhig:
    »Ich will eine Kerze für die erhängte Frau anzünden.«
    »Barmherziger Himmel!« flüsterte sie. »Wer hat Euch das erzählt? Wer hat es gewagt? Er bringt jeden um, der davon spricht.«
    »Sie selber«, antwortete ich. »Und er kann sie wohl kaum zweimal umbringen. Jede Nacht hängt sie in dem Zimmer, in dem sie gestorben ist. Ihr Kummer bricht mir das Herz, ich muß für ihre Seele beten, wenn ich jemals wieder Schlaf finden will.«
    »Ihr habt sie gesehen?«
    »Ich sehe sie, und vor meinem inneren Auge sehe ich sie jetzt noch. Ihr Gesicht ist schwarz; die Augen quellen hervor. Es ist so grauenhaft, man kann es einfach nicht aushalten.« Berthe bekreuzigte sich.
    »Genauso hat sie ausgesehen, als wir sie abgeschnitten haben, die arme, verdammte Seele. Und dabei war sie so hübsch.«
    »Sie war seine erste Frau, nicht wahr?«
    »Ja, seine erste Frau, und obendrein war es eine Liebesheirat, jedenfalls von ihrer Seite aus.«
    »Liebe? Das ist doch unmöglich. Wie könnte das wohl sein?«
    »Sie war so hübsch und so jung. Ihr Vater war ein einflußreicher Mann, ein Färber mit Besitz in der Stadt. Small sah sie in der Kirche in Begleitung ihrer Mutter und schmeichelte sich so bei ihr ein, daß sie sich in ihn verliebte, und ihre Mutter war damit einverstanden. Zunächst sahen sie sich in der Kirche, aber dann schickte Small einen Mittelsmann, um zu erkunden, ob er ihre Hand bekommen könnte. Ihr Vater war dagegen, denn Smalls Mittel waren nicht der Rede wert, und er wollte eine bessere Partie für sie. Aber Small war jung und schmuck und unbescholten, und so kriegten die Frauen den Vater herum, daß er der Ehe zustimmte. Sie war gerade dreizehn geworden, als sie dieses Haus betrat, welches ihr Vater für die beiden gekauft hatte.« Berthe wischte sich mit dem Handrücken eine Träne ab.
    »Weiter, ich will alles hören.«
    »Sie erwartete schon bald ein Kind, tat sich aber wegen ihrer Jugend schwer mit dem Kinderkriegen. Sie trug den Jungen über die Zeit, und er war, wie Ihr sehen könnt, einfältig. Small raste. Bald war sie wieder schwanger, aber er schimpfte und schlug sie. Sie drohte ihm, alles ihrem Vater zu erzählen und daß sie weglaufen würde. Das wollte Small nun auch wieder nicht, denn sie war das einzige Kind und Erbin ihres Vaters. In jener Nacht erwürgte er sie fast, und am Morgen kam das Kind zu früh zur Welt.«
    »Wie furchtbar – aber das Kind lebte doch, nicht wahr?«
    »Ja, es lebte, zuerst jedenfalls. Aber für ihn

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