Die Stimme
sanfter Blick ruhte für einen Augenblick auf meinem nach oben gerichteten Gesicht, ehe sie ihn wieder hob und auf die Menschen richtete, welche die Marienkapelle betraten. Als hätte sie mit mir geredet, so gewiß hatte sie mir eine Antwort gegeben.
Am nächsten Tag begab ich mich gelassen und mit einem inneren Abstand an meine Pflichten, wie es gar nicht zu mir paßte. Das Erbrechen hatte schon lange aufgehört, und ich verspürte neue Kräfte. Diese Nacht hatte ich gut geschlafen, und die dunklen Schatten unter den Dachbalken bargen keinerlei unheimliche Gestalten mehr, außer einer kleinen Spinne, die sich lautlos an ihrem Seidenfaden herunterließ. Im Hause war großer Aufruhr, denn die Maulesel waren zurück und wurden in die Ställe gebracht, und das Gesinde und die beiden Lehrlinge trugen die neue Ware nach unten in die Lagerräume; zudem wurde noch ein großes Essen zur Feier des Tages vorbereitet. An jenem Morgen hatte sich das stumme Kind davongemacht, wurde aber mit Leichtigkeit wiedergefunden, da es nur zwei Straßen weiter in der Gosse saß. Die Reise von London war fast ohne Zwischenfälle verlaufen. Keine Wegelagerer hatten einen Überfall versucht, und so war weiter nichts passiert, als daß ein Stallknecht auf dem Rückweg erkrankt war und bis zu seiner Genesung in einem Gasthaus an der Straße zurückgelassen werden mußte. Lewis Small war in Geberlaune, fast großzügig zu nennen, und verteilte Belohnungen an alle, die seine Waren wohlbehalten nach Haus gebracht hatten.
Nach dem Essen mußte sich einer der Lehrlinge mit Leibschmerzen zu Bett legen, er hatte sich überfressen. Nachdem Small seinen Vortrag über die Sünde der Habsucht beendet hatte, brachte ich dem Jungen einen Pfefferminzaufguß nach unten ans Bett, wo er mutterseelenallein lag.
»Mistress Margaret, es tut überall so weh, und ich bin ganz heiß.« Er konnte kaum sprechen, lag auf der Seite und hatte sich zu einer Kugel zusammengerollt.
»Nur keine Angst, ich habe dir etwas gebracht«, sagte ich beschwichtigend und fuhr ihm mit der Hand über die Stirn. Er glühte nur so! Das war keine Kinderkrankheit sondern ein gefährliches Fieber. Ich beschloß, ein Weilchen bei ihm zu bleiben und ließ Tücher in kaltem Wasser auswringen, die ich ihm auf Kopf und Leib legte. Als ich getan hatte, was ich konnte, verließ ich ihn, versprach ihm aber, bald wiederzukommen. Und nachdem ich meine paar Besorgungen erledigt hatte, wusch ich ihn wieder mit kaltem Wasser ab, und da fiel mir auf, daß sich große Geschwülste an seinem Nacken und unter seinem Arm gebildet hatten. Er phantasierte und hielt mich für seine Mutter. Und dann sah ich die schwarzen Flecken, häßlichen, schwarzen Pusteln gleich, die sich auf seinem Leib gebildet hatten. Ich untersuchte ihn, fand aber lediglich ein, zwei weitere, doch es war klar, daß es vor Einbruch der Nacht viele, viele mehr sein würden. Das sah nach etwas aus, was man nicht auf die leichte Schulter nehmen durfte, und so schickte ich nach meinem Mann, der einem Kunden um den Bart ging, er möge doch, sobald es ihm genehm sei, zu mir kommen. Wutschnaubend, weil ich ihn bei der Arbeit behelligt hatte, kam er dann.
»Hausvater, es ist etwas sehr Schlimmes passiert. Einer der Jungen fiebert. Ich glaube, wir haben eine gefährliche Krankheit im Haus.«
»Welche Krankheit rechtfertigt es wohl, daß der Verlust eines Lehrlings mich bei der Arbeit stört.«
»Keine Krankheit, die ich schon einmal gesehen hätte, aber eine sehr schnelle, die einen Menschen binnen Stunden dahinrafft.«
Small hob eine Braue.
»Komm mit und sieh es dir an, es ist ernst«, sagte ich. »Ich habe schon nach dem Priester geschickt.« Small zündete eine Kerze an, damit er besser sehen konnte, denn die Räume unten, wo die Lehrlinge schliefen, besaßen nur ein Fensterchen und waren sogar mittags noch dunkel. Als er die Kerze hoch über das Bett hielt, wurde mir klar, daß der arme Junge seinen letzten Atemzug getan hatte, ehe noch der Priester eintreffen konnte. Im Lichtkreis der Kerze, den Small langsam über den ganzen Leichnam wandern ließ, zeigten sich Ansammlungen von schwarzen Flecken, welche die Haut des Bauches über der Bettdecke verunstalteten und aus dem Gesicht eine nicht wiederzuerkennende Maske machten.
»Das da kenne ich«, sagte er gelassen. »Gut, daß du mich benachrichtigt hast, Hausfrau.« Und er ging schnellen Schrittes in sein Lager. »Komm mit, Hausfrau, und tu genau das, was ich dir sage.«
Auf der
Weitere Kostenlose Bücher