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Die Stimme

Titel: Die Stimme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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die Niederkunft ist noch nicht gekommen.«
    »Ha! Die fremde weise Frau, äh? Was man nicht alles tut! Amulette und Ärzte, Andachten und Pilgerfahrten! Aber beim Leibe Gottes, Weib, wenn du mir dieses Mal keinen Sohn schenkst, dann ist das Kloster noch zu gut für dich!« Er ballte die Faust, und die Sporen klirrten, denn er stampfte auf, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen.
    »Das Kind lebt, ich fühle, wie es mich tritt«, antwortete Lady Blanche matt.
    »Dann sorge dafür, daß es so bleibt.« Angewidert wandte er sich ab und stampfte hinaus, gefolgt von Vater Denys, der sich dicht neben ihm verneigte, dann kamen Hunde und Gefolgsleute.
    Als sie gingen, wechselten Mutter Hilde und ich wieder einen Blick, und ihrer besagte klar und deutlich:
    »Vom Regen in die Traufe.«
    Aber Hilde gehörte nicht zu denen, die herumhockten und ihr Los bedauerten. Stets war ihr Wahlspruch: »Nur nach vorn blicken und das Vergangene vergangen sein lassen.« Ich hatte mittlerweile soviel von ihr gelernt, daß ich glaubte, Gott würde uns noch einmal erretten. Völlig gelassen besprach Hilde mit den Damen die Vorbereitungen. Tag und Nacht sollte jemand um Lady Blanche sein. Ihre Dienerinnen und Damen schliefen bereits in dem Zimmer. Doch nun mußte eine von ihnen die ganze Nacht hindurch wachen. Wenn ihre Zeit herannahte, würden auch wir Nachtwache halten und dort schlafen. In der Zwischenzeit war unser Platz bei den anderen Mägden in einem Raum hinter der Küche. Jetzt brachten die hochgeborenen Gesellschafterinnen Lady Blanche das Abendessen in die Wochenstube; wir anderen gingen zum Essen in die Halle.
    Bei Einbruch der Nacht hatte man ein paar flackernde Kerzen in Lady Blanches Zimmer gebracht, die Halle jedoch war von einem Ende zum anderen von lodernden Pechfackeln erhellt. Ihr Rauch mischte sich mit dem des großen Feuers in der Mitte, stieg hoch und fing sich unter dem Dach, wo er dann durch den louvre am First abzog. Lord Raymond saß in einem großen Sessel auf einem Podest, sein Lieblingsfalke auf der Rückenlehne, seine Hunde lagen ihm zu Füßen. Zu ihm am Haupttisch gesellten sich andere Ritter und Gefolgsleute, die Priester der Kapelle, und jene der Damen, welche nicht in der Wochenstube geblieben waren. Unten, an den auf Böcken stehenden Tischen saßen seine Gewappneten und allerlei Gesinde und aßen und tranken geräuschvoll.
    Man wies uns einen Platz am niedrigsten Tisch zu bei einer Schar von Mägden. Schwer zu sagen, an welchem Ende der Halle es unzüchtiger zuging. Bei uns schwirrte es von Flüchen und schmutzigen Geschichten; der Haupttisch hingegen wirkte vornehmer. Dort wurden die Gerichte elegant von Schildknappen gereicht, und nachdem Lord Raymond aufgeschnitten hatte, bot er seinen bevorzugten Gästen die besten Stücke mit den Fingern an. Der Baron und seine Tischgesellschaft unterhielten sich über die Jagd und ließen dabei den Hunden unter dem Tisch etwas zu fressen zukommen. An den niedrigeren Tischen ging es hektischer zu. Sowie ein beliebtes Gericht aufgetragen wurde, stach ein Dutzend Messer so flink zu, daß man einen Finger verlieren konnte, wenn man nicht schnell genug zufaßte. War das Gerippe säuberlich abgefieselt, dienten die Knochen der Belustigung, wurden den Hunden zugeworfen oder unter die Treppe, wo die dort lungernden Waisenkinder sich dann darum stritten.
    An den niedrigeren Tischen schien auch die Unterhaltung niedriger zu sein. Unsere Tischgenossen stritten sich hitzig, wer wohl der Vater eines Kindes sei, das die Küchenmagd demnächst erwartete. Einige wollten es Sir Henry, andere Lord Raymond anhängen, und eine dritte Partei brachte den Oberkoch ins Spiel. Hilde und ich teilten uns eine Scheibe Brot und einen Becher, und wie gut, daß sie so flinke Hände hatte, sonst hätte unser Abendessen nur aus trocken Brot ohne Fleischpastete bestanden. Mit meinem Messer teilte ich das bißchen Geflügel, das ich erwischt hatte; den kleinen kugeligen Hund, der zu unseren Füßen bettelte, achteten wir nicht. Die Binsen auf dem Fußboden waren hoch aufgeschichtet und verfilzt, dazwischen lagen verfaulte Essensreste und Tierkot. Ein abscheulicher Gestank stieg aus ihnen auf.
    Einen Augenblick hörte das Messergeklirr und das Fingergelutsche, das der Reinigung diente, auf, als nämlich einer der Gewappneten zwei wetteifernden Hunden einen Knochen hinwarf und diese sich aufeinander stürzten. Die Frau neben mir lachte laut über alle Zahnlücken und sagte:
    »Für den richtigen Spaß

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