Die Stimme
den Körper einer Frau im Kindbett kräftigt. Das Wichtigste ist allerdings, daß alle hier beten, es möge dem Herrn gefallen, das Kind in eine andere Lage zu bringen, denn das tut am meisten not.« Hier erlebte ich zum ersten Mal, wie klug Hilde bei einer schweren Geburt vorging. Zuzeiten sind Takt, Erklärungen und das gebührende Flehen zum Himmel alles, was einer Wehmutter das Leben erhält, insbesondere wenn sie es mit Hochgestellten zu tun hat. Hilde faltete fromm die Hände und fügte hinzu:
»Noch nie in all den langen Jahren meines Lebens habe ich erlebt, daß verfrühte Wehen so schnell aussetzten – ich kann mir das nur damit erklären, daß aufrichtige und machtvolle Gebete geradewegs zum Sitz der Barmherzigkeit ihre Wirkung getan haben.« Sie hatte Vater Denys durchschaut. Er trat vor, um das Verdienst einzuheimsen und wandte sich dann mit einer äußerst erstaunlichen Stimme an die erschöpfte und ergebene Lady Blanche. Die Stimme klang ölig, hatte aber gleichzeitig einen lispelnden, affektiert eleganten Akzent, der sich irgendwie in seiner Nase verfing, so als ob die Muttersprache anstelle von Französisch für ihn irgendwie unangenehm röche.
»Hochverehrte Lady, ich habe so manche schlaflose Nacht im Gebet für die gesunde Geburt Eures Sohnes zugebracht.« Mutter Hilde warf mir einen scharfen Blick zu, uns dämmerte zur gleichen Zeit, daß Vater Denys ebenso in der Patsche saß wie Lady Blanche und wir. Offenbar hatte er einen Sohn versprochen. Wie unklug von ihm, da er doch von sich behauptete, er sei imstande, mit dem Himmel Umgang zu pflegen, denn wie ich schon sagte, ist Gott ein Possenreißer; das hatte ich von Mutter Hilde gelernt.
Man stopfte Lady Blanche Kissen in den Rücken, daß sie sich aufsetzte. Sie machte ihrem Namen Blanche, die Weiße, alle Ehre, denn die langen Zöpfe, die ihr über die Schultern fielen, waren so blond, daß sie fast weiß wirkten. Ihr mageres, angespanntes Gesicht war weiß wie Leinwand, und ihre Augen waren von einem so hellen Blau, daß sie fast durchscheinend waren. Ich sah, wie sie sich mit einem schlauen und vorsichtigen Blick umsah, und dachte bei mir, ihr Herz, falls sie eins besaß, müsse auch weiß sein – so weiß wie Rauhreif oder neues Eis. Jetzt saß sie angelehnt, doch fast unter den üppigen Pelzdecken begraben, die man ihr der Schicklichkeit halber übergelegt hatte, und blickte mir fest in die Augen.
»Du da, die zweite weise Frau. Du bist keine Bauerndirne.« Es war sowohl eine Feststellung als auch eine Frage.
»Nein, Mylady«, knickste ich.
»Wer und was bist du dann?«
»Ich bin freigeboren und Wittib.« Das mochte durchaus stimmen, denn wie hätte mein Mann wohl der furchtbaren Ansteckung entgehen können, derenthalben er Frau und Kind und Gesinde im Stich gelassen hatte, und wenn er noch so weit geflohen war.
»So jung und schon Wittib. Wie kommt das?«
»Die Pest hat mir meine Familie genommen, Mylady, ich allein wurde von der Krankheit durch diese weise Frau, Mutter Hilde hier, geheilt.« Ihre Augen wanderten zu Mutter Hilde.
»Dann bist du fürwahr eine mächtige weise Frau. Gut. Entbinde mich von einem gesunden Sohn, und ich werde dich reich belohnen. Und wenn nicht« – unwillkürlich erschauerte sie – »dann steh Gott uns allen bei.«
Es donnerte an der Tür, dann brüllte jemand:
»Wo ist mein Sohn, Lady? Lebend geboren oder wieder mal tot?« Die Frauen stoben in eine Zimmerecke wie eine Schar aufgeschreckter Hühner. Die Tür sprang auf, und schon kam Baron Raymond von Monchensie, ohne auf Sitte und Anstand zu achten, geradewegs von der Jagd hereingestürmt. Ihm voraus sprangen die Hunde. Hinter ihm stand ein Gefolgsmann, der trug seinen Lieblingsfalken mit der Haube über dem Kopf auf dem Handschuh. Lord Raymond war von mittlerem Wuchs, kräftig gebaut und mit kraftvollen, jedoch durch übermäßiges Essen und Trinken vergröberten Zügen. Er trug das Haar mittellang, es war dunkelbraun, aber bereits schütter, sein kleiner Bart war sauber gestutzt, der Schnurrbart grau gesprenkelt. Sein Umhang schlug auf und enthüllte ein erlesenes, braunes Jagdhemd aus Wolle. Bei jedem Schritt klirrten die Sporen an seinen hohen Stiefeln.
»Nun, Madame, wie steht's?« fragte er laut und brüsk, während er die leere Wiege beäugte.
Mutter Hilde trat ihm so unerschrocken entgegen, als ob die Gegenwart eines Mannes in der Wochenstube normal sei und antwortete ihm mit einem tiefen und demütigen Knicks.
»Mylord, die Zeit für
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