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Die Stimme

Titel: Die Stimme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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weinen.
    »Schluß mit dem Geheule, Weib, gib meinem Sohn zu trinken!« Sie drückte das Kind an sich, und als sie eine riesige Brust aus ihrem Kleid holte, frohlockte er. Das arme Kind begann matt zu saugen, und das Mädchen lächelte vor Zufriedenheit, als Mylord ihr eine große Silbermünze gab.
    »Abschlag«, sagte er und machte auf den Hacken kehrt. Dann fiel ihm etwas ein, und er kam noch einmal zurück.
    »Frau Gemahlin«, sagte er, »also habt Ihr schließlich doch noch Eure Pflicht getan. Gute Arbeit, gute Arbeit. Ich werde eine Dankmesse lesen lassen!« Lady Blanche lächelte matt, aber triumphierend. In einem Zeitraum von nur einem Tag hatte sich für sie alles zum Guten gewendet. Als Mutter eines Sohnes war sie jetzt für alle Zeiten sicher und konnte ihre alten Tage in Wohlleben genießen.
    Während Lady Blanche sich auf dem großen Bett ausruhte und Glückwünsche entgegennahm, badeten Hilde und ich das geschundene Kindchen und zogen ihm die wunderschöne Mütze über den mißgestalteten Kopf. Als nur noch das winzige Gesichtchen heraussah, wirkte er irgendwie nicht so grotesk. Und ein gewickeltes Kind gleicht dem anderen.
    »O je, hoffentlich ist nun alles gut«, seufzte Mutter Hilde, als sie sich auf die niedrige Bank in der Ecke setzte und die Beine ausstreckte. »Mutter und Kind sind wohlauf, und im ganzen Haus herrscht Freude.«
    »Du machst den Eindruck, als ob du eine große Gefahr überstanden hättest, Mutter Hilde«, bemerkte ich.
    »Wir sind alle in großer Gefahr gewesen, obwohl nur ich darum wußte«, sagte sie leise. »Die Arznei, die ich zubereitet habe, die hätte mir Belotte in Gold aufgewogen. Sie treibt Kinder vorzeitig aus dem Schoß. Wenn sie zu stark ist, bringt sie Tod oder Wahnsinn. Doch wenn man es zur rechten Zeit anwendet und dabei Glück hat, kann sie auch Leben bringen. Wenn du eines Tages soweit bist, zeige ich dir, wie man sie zubereitet. Das dunkle Pulver ist ein gefährliches Geheimnis, aber leicht herzustellen. Komischerweise sind die Zutaten ganz einfach: nichts als verfaulter Roggen und zwei, drei andere Dinge. Doch hüte dich gut, wenn du es verwendest, denn oftmals zieht es Schlimmes nach sich und kann dir Verfolgung und Tod bringen.«
    Als sie Belotte erwähnte, rührte sich mein schlechtes Gewissen, ich bat gehen zu dürfen und sagte ihr, daß die Unselige mich um Hilfe gebeten hatte.
    »Dann geh nur, komm aber so schnell wie möglich zurück, denn es kann sein, daß ich wieder deine Hilfe brauche.« Argwöhnisch spähte sie zu der schlafenden Lady Blanche am entgegengesetzten Ende des Zimmers. In der Halle traf ich den Mann, der mich zu Watt führen sollte, und stieg mit ihm dann in die Tiefen hinunter, wo Belotte lag. Sie war allein, ihr Kind hatte sie neben sich. Ich kam zu spät für alle Aufträge, die sie im Sinn gehabt haben mochte, denn sie war der Sprache nicht mehr mächtig. Ich legte ihr die Hand auf die Stirn und spürte die furchtbare Fieberhitze, welche sie verzehrte.
    »Da ist nicht mehr viel zu machen«, bemerkte Watt. »Mit Fieber kenne ich mich aus, ich weiß, daß sie nicht durchkommt.«
    Bei seinen Worten kam Belotte etwas zu sich und redete, obwohl klar war, daß sie uns nicht erkannte.
    »Vater, seid Ihr endlich doch gekommen. Ich möchte bereuen und Euren Segen haben, denn ich brenne schon im höllischen Feuer.«
    »Ich bin's, Margaret, ich bin da.«
    »Vater, es gibt in meinem Leben nur eine gute Tat. Ich habe einem Kind das Leben geschenkt, das so schön ist wie die aufgehende Sonne. Rettet es, rettet es! Es hat keinen Teil an dem, was ich getan habe.«
    »Ich bin's, Belotte, Margaret! Und ich will für dich beten. Geht jetzt«, sagte ich zu dem Soldaten der mich hergeführt hatte. »Das hier ist Frauensache. Wenn ich fertig bin, treffen wir uns oben im Wachraum.« Ich kniete nieder, aber beim Beten wurde mein Geist ganz ruhig, und rings um mich begann die Welt zu beben und zu vergehen. Ich spürte, daß von Belotte etwas schauerlich Schwarzes, Saugendes ausging, das mir die Lebenskraft raubte! Irgendwie wußte ich, wenn das so weiterging, es würde mich mit ihr in den Tod reißen. Ich suchte nach etwas, womit ich diese furchterregende Verbindung unterbrechen könne und schrie ohne nachzudenken laut auf. Beim Klang meiner Stimme gelang es mir, meinen Geist abzuwenden, und ich füllte ihn mit geschäftigen Gedanken, nur damit ich nicht wieder in Sog der Schwärze geriet. Erneut legte ich ihr die Hand auf die Stirn.
    »Belotte, Belotte,

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