Die Stimmen des Flusses
Ehrwürdigen eingesetzt hatte.
»Stimmt:Wieso ist er nicht da?«
»Er ist im Krankenhaus.«
»Heilige Mutter Gottes.Was hat er denn?«
Hochwürden August Vilabrú hatte den ersten heftigen Streit mit seiner Nichte gehabt, Senyora Elisenda Vilabrú Ramis. Schmutzige Wäsche waschen ist nicht gut für die Gesundheit.
Die schmutzige Wäsche war der Brief eines Notars samt Anhang. Im Brief hieß es, nach Ablauf der Frist von vier Jahren nach dem Tod seines Mandanten lasse das Notariat Coma-Garriga aus Lleida das beiliegende Dokument demdarin bestimmten Adressaten zukommen. Der Adressat, Hochwürden August Vilabrú, ließ das beiliegende Dokument auf den Tisch im Besucherzimmer des Bischofspalasts fallen, als hätte er sich daran verbrannt. Elisenda nahm es auf, wobei sie darauf achtete, daß ihre Hände nicht zitterten, und begann zu lesen. Sofort erkannte sie Valentí Targas primitive Ausdrucksweise und verstand, daß ihr Goel sich diesen Trumpf aus Rache für vieles vorbehalten hatte, auch für die Liebe, die Oriol und sie einander geschworen hatten. Am meisten wunderte sie sich über Valentís Fähigkeit, etwas zu planen, das erst nach seinem Tod seine Wirkung entfalten würde. Es handelte sich um eine eidesstattliche Erklärung, daß seine und Elisenda Vilabrús Zeugenaussage über die wahren Umstände von Oriol Fontelles’Tod ungültig war. »Ich nehme meine Zeugenaussage zurück, auch wenn ich damals einen heiligen Eid darauf geschworen habe.Von wegen Maquis, Martyrium und Tabernakel. Oriol Fontelles war ein gerissener Ehebrecher, Liebhaber der oben erwähnten Elisenda Vilabrú und Mörder im Dienste des Maquis, der einen Anschlag auf das Leben von Senyor Valentí Targa, das heißt, den Unterzeichner dieses Dokuments, geplant hatte. Und sie, die immer so vornehm tut, ist nichts weiter als eine gewöhnliche Schwanzlutscherin.«
»Hören Sie, Senyor, glauben Sie nicht, wir sollten …«
»Auf keinen Fall: Schwanzlutscherin, genau, wie ich gesagt habe, oder ich lasse meine Geschäfte in Zukunft von einem anderen Notariat erledigen. Sie haben die Wahl.«
»Schwanzlutscherin. Und es ist mein Wille, daß dieses Dokument, wenn ich sterben sollte, ohne es widerrufen zu haben, vier Jahre nach meinem Tod dem Kanoniker Vilabrú ausgehändigt wird.«
»Schreiben wir lieber ›nach meinem Ableben‹.«
»In Ordnung, abzuleben ist doch vornehmer als zu sterben. Und ich möchte noch etwas hinzufügen.«
»Was denn, Senyor Targa?«
»Die wahren Umstände des Todes dieses Fontelles.«
»Kennen Sie sie denn?«
»Und ob.«
Stille. Notar Garriga sah in das Licht, das von der Plaça Sant Joan gedämpft durch die Vorhänge drang. Dann betrachtete er seinen Klienten, der ungeduldig vor ihm stand.
»Ich würde sie für mich behalten.«
»Warum?«
»Aus Vorsicht.«
»Das Ganze kommt doch sowieso nur raus, wenn ich tot bin, ich meine abgelebt.«
»Und?«
»Ich scheiße auf die Vorsicht. Ist das deutlich genug?«
»Wie Sie wünschen. Ich muß Sie aber darauf hinweisen, daß ich, je nach Art Ihrer Enthüllungen, für den hypothetischen Fall, daß mir Straftatbestände zu Ohren kommen sollten, verpflichtet bin, diese anzuzeigen.«
»Und das Berufsgeheimnis?«
»Das hat seine Grenzen.«
»Nun, dann hebe ich mir das für später auf.«
»Das ist besser, Senyor Targa.«
Lleida, am 10. Januar 1950. Unterzeichnet von Valentí Targa Sau.
Elisenda legte das Papier zurück auf den Tisch. Mein Goel wollte mir also das Wasser abgraben. Mein Goel war eifersüchtig auf meinen Wunsch, Oriol im Gedächtnis der Allgemeinheit einen Winkel einzuräumen. Sie holte Luft und sagte: »Senyor Valentí Targa war mir und meinen Träumen feindlich gesonnen, seit ich mich geweigert hatte, mich ihm hinzugeben. Das ist seine Rache, Onkel. Sie werden das doch nicht etwa glauben?«
Elisenda sah ihren Onkel nicht an. Als sie geendet hatte, sank sie mitten im Besucherzimmer andächtig auf die Knie, küßte seine Hand und sagte: »Vater, ich möchte beichten«, und Hochwürden August, den das Gebaren seiner Nichte überraschte und neugierig machte und der selbst nicht sehr entschlußfreudig war, ließ sich überrumpeln. Erst, als erdabei war, dieser dürstenden Seele die Absolution zu erteilen, wurde ihm bewußt, daß er in eine Falle gegangen war, die ihn seine Gesundheit kosten würde. Denn Elisendas Worte – »Ja, Vater, Oriol Fontelles, der Lehrer von Torena, war vor zehn Jahren für ein paar kurze, aber intensive Monate mein Geliebter« –
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